Patchwork-Paradies: Social Fabric, Arch von Nevin Aladağ | #82

Shownotes

In dieser Podcastfolge geht es um eine monumentale Teppich-Collage der Künstlerin Nevin Aladağ. Das Werk "Social Fabric, Arch" besteht aus zahlreichen Teppichfragmenten unterschiedlicher Herkunft. Was das Werk über kulturelle Vielfalt erzählt und warum Teppiche richtig politisch sein können, verrät Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge von "Kunstsnack".

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Nevin-Alada/Social-Fabric-Arch/C6686B1FFC144136B842C0DC791DC112/

Das Werk ist vom 29.11.2025 bis zum 12.4.2026 in der Sonderausstellung "Archistories. Architektur in der Kunst" in der Orangerie der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/ausstellung/archistories-architektur-in-der-kunst/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH

Transkript anzeigen

Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle KarlsruhePatchwork-Paradis: Social Fabric, Arch von Nevin Aladağ, 2023

1919 wurde im Weimar die legendäre Kunstschule Bauhaus gegründet. Bei Bauhaus denken manche von euch vielleicht erst mal den gleichnamigen Baumarkt. Und tatsächlich gab es bereits einen Rechtsstreit um den Namen, den die Firma für sich entscheiden konnte. Das Bauhaus war eine der ersten Kunst-Institutionen in Deutschland, die Frauen gleichberechtigten Zugang ermöglichte. Aber die meisten Künstlerinnen wurden dann ziemlich schnell in die Weberei-Werkstätten abgeschoben. Techniken wie Teppiche wurden nämlich lange als künstlerisches Medium nicht ernst genommen und als Frauensache angesehen. Das Bauhaus ist trotz seiner damaligen Fortschrittlichkeit ein gutes Beispiel für solche Vorurteile. Das Bauhaus ist aber auch ein Beispiel, wie Künstlerinnen mit Wandteppichen abstrakte Werke schufen, die anderen Arbeiten in nichts nachstanden.

Über 100 Jahre später greift die Künstlerin Nevin Aladağ das Thema Wandteppich noch mal ganz anders auf. Sie bleibt auf dem Teppich, aber entwickelt ihn trotzdem weiter! In dieser Folge geht es um ein sehr neues Werk aus dem Jahr 2023 mit dem Titel „Social Fabric, Arch“. Es befindet sich in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Das Werk ist ein Neuzugang und ein echter Glücksfall, weil es ziemlich bedeutend ist. Also, wir gehen rein. Los geht’s.

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Schaut euch das Werk dieser Folge gerne selbst an. In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung. Aber keine Sorge, ich beschreibe es euch jetzt auch kurz und knackig.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Wie schon gesagt: Heute haben wir es mit einem Wandteppich zu tun. Aber der sieht komplett anders aus, als ein normaler Wandteppich, den man sich jetzt automatisch vorstellt. Dieser Teppich scheppert, es ist eine Disco der Stoffe, ein Patchwork-Paradies. Es handelt sich um ein buntes Wirrwarr an abstrakten Formen und verschiedenen Stoffen. Man sieht normale, klassische Teppichmuster und dazu viele knallige Farbflächen. Zwischendrin sind außerdem schwarze und gelbe Linien eingewoben, die rundliche Formen kreieren. Mich erinnert das Ganze ein bisschen an Bilder von Miró, die ja gerne in Wartezimmern hängen. Auf den ersten Blick ist es ein solides Durcheinander, als würde man auf diesen Wandteppich durch ein Kaleidoskop schauen. Aber auf den zweiten Blick erkennt man eine Ordnung in diesem Chaos, eine eine Harmonie. Trotzdem muss man sagen: Ein 1000-Teile-Puzzle von diesem Werk… hui, das wäre der Endgegner.

Also, zusammenfassend: Das Werk dieser Folge hat etwas von einer Teppich-Collage. Als hätte man hier mindestens 10 Teppiche zusammengebracht. Von der Seite sieht man auch, dass die Teppiche ganz unterschiedliche Strukturen haben. Aber wie entsteht so eine Teppich-Collage? Ein Pritstift und eine Schere reichen hier definitiv nicht aus.

Wie ist es gemacht? Technische Details

Die Künstlerin Nevin Aladağ befestigt die Teppichteile auf einer Holzplatte. Im Fall der Kunsthalle Karlsruhe ist die Platte rechteckig und oben halbrund – so wie viele Kirchentüren. Bevor sie anfängt, entwirft sie vorab ein Liniengerüst, das dem Werk Struktur gibt. Naja, und dann setzt die Künstlerin das Werk aus zahlreichen Teppichfragmenten zusammen. Teppiche aus allen möglichen Kulturen kommen zum Einsatz. Die Muster und Materialien unterscheiden sich stark: einfarbig, gestreift, floral, gewebt, geknüpft. Alles ist dabei, alte Stoffe, neue Stoffe, Nevin Aladağ ist voll auf Stoff! Diese ganzen Teile fügen sich zusammen zu einem Teppich-Tetris, nur eben mit runden Formen. Es entsteht eine stimmige Gesamtkomposition – kein beliebiger Flickenteppich. In dem Werk „Social Fabric, Arch“ aus der Kunsthalle Karlsruhe verbindet sich Handarbeit mit Industrieprodukt, religiöse Bedeutung trifft auf Dekoration. Nevin Aladağ schafft eine faszinierende Verbindung. Und genau damit wären wir auch schon bei der Bedeutung dieses Kunstwerks.

Worum geht’s hier eigentlich? Die Message

Nevin Aladağ geht es in ihrer Kunst um kulturelle Vielfalt. Versatzstücke ganz unterschiedlicher Herkunft und Bedeutung stehen hier gleichwertig nebeneinander und erzeugen ein stimmiges Gesamtbild. Denn genau das ist Kultur: kein Gegeneinander, sondern ein sich gegenseitig Durchdringen und Bereichern. Und das bringt dieses Werk extrem gut auf den Punkt. Es ist geradezu ein Sinnbild dafür, wie Kultur funktioniert. Gerade in den aktuellen Zeiten, wo Spaltung und Hetze zunehmen, finde ich das ein wichtiges Statement. Wir haben es hier mit einem hochaktuellen Wandteppich zu tun. Der Titel „Social Fabric, Arch“ spielt ebenfalls darauf an. Übersetzt bedeutet es „Soziale Gefüge, Bogen“. Nevin Aladağ zeigt mit ihrem Wandteppich also Gesellschaft als eine Art soziales Gewebe – so wie die Stoffe in ihrem Werk.

Gleichzeitig wertet Nevin Aladağ das Medium Teppich auf. Ich hatte ja am Anfang das Bauhaus als Beispiel dafür genannt, wie stereotyp Teppich-Herstellung oft weiblich assoziiert wurde. Und das ist ja zum Teil bis heute so, dass Wandteppiche in der Kunst nicht ganz ernst genommen werden. Nevin Aladağ räumt damit auf, sie macht den Teppich cool und flashy. Bei ihr wird der Wandteppich von einem Nebenschauplatz der Kunstgeschichte zu einem auffälligen, wandfüllenden Werk. Aktuell ist in der zeitgenössischen Kunst ein Textil-Trend zu beobachten. Besonders feministische Künstlerinnen schnappen sich dieses Medium und deuten es um.

Kurioses aus der Kunstwelt

2022 habe ich im Neuen Museum in Nürnberg gesehen, wie politisch Teppiche sein können. Dort wurden afghanische Kriegsteppiche ausgestellt, diese Kunstform entstand in den 1980er Jahren während des Sowjetischen Krieges in Afghanistan. Von Weitem denkt man: „Ah, normale Teppiche.“ Aber aus der Nähe checkt man, in genau dieser traditionellen Technik wurden da Kampfflugzeuge, Helikopter, Panzer, Waffen und Soldaten eingewebt. Das Grauen kommt unscheinbar daher und wirkt dadurch umso heftiger. Daneben hing ein Werk von dem ungarischen Künstler Pravdoliub Ivanov. Der hatte einen klassischen Teppich so auseinandergeschnitten und neu arrangiert, dass der Teppich aussah, wie eine zersplitterte Glasscheibe. Das Werk spielte auf den Arabischen Frühling Anfang der 2010er Jahre an, als Traditionen und Gesellschaftssysteme aufgebrochen wurden und zugleich in Scherben lagen. Also long story short: Teppiche können richtig politisch sein und starke Botschaften transportieren, siehe Nevin Aladağ.

Wer hat‘s gemacht? Künstlerin im Spotlight

Nevin Aladağ wurde 1972 in Van in der Türkei geboren in eine mit Familie iranischen und kurdischen Wurzeln. Sie wuchs wuchs in Stuttgart auf und lebt heute in Berlin. Die Künstlerin beschäftigt sich aber nicht nur mit Teppichen, sie macht auch Performances und Videoarbeiten – Musik und Klang sind dabei besonders wichtig. 2007 verwandelte sie z.B. Tanz in Metallobjekte. Sieben Frauen tanzten mit Absatz-Schuhen auf Kupferplatten. Das Ganze hatte was von einer Silent-Disco, denn nur die Frauen hörten die Musik über Kopfhörer. Das Publikum sah nur den Tanz und hörte die knallenden Schuhe auf Metall. Ganz so silent war es also nicht. Die Kupferplatten wurden anschließend zu Wandobjekten, die Schuhe hatten Einbuchtungen im Metall hinterlassen – man konnte den Tanz, bzw. die Spuren davon also sehen. Hat was vom Boden in einem Club, nur eben ohne die ekligen Klebereste einer Party. Nevin Aladağ ist mittlerweile in vielen wichtigen Museumssammlungen und Ausstellungen vertreten 2025 erhielt sie außerdem den Landespreis für Bildende Kunst Baden Württemberg.

Mich hat sie auf jeden Fall bereichert, denn seit meiner Kindheit bin ich riesiger Fan von Straßenteppichen. Als kleiner Junge habe ich ewig mit meinen Autos darauf gespielt und am liebsten hätte ich so einen heute noch in meinem Wohnzimmer. Aber seit ich das Werk aus der Kunsthalle Karlsruhe kenne, habe ich einen neuen Lieblingsteppich und der stammt von Nevin Aladağ!

Damit sind wir am Ende angelangt, ich hoffe, ihr hattet Spaß mit dieser Folge und konntet was mitnehmen. Danke fürs Zuhören und bis in zwei Wochen zur nächsten Folge von Kunstsnack. Bis dann, Ciao. Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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