Geschmackvolles Geheimversteck: Wittgenstein's Cabin 10 von Dionisio González | #81

Shownotes

Dionisio González’ „Wittgenstein’s Cabin 10“ zeigt eine futuristische, computergenerierte Architektur im norwegischen Fjord – so realistisch, dass viele sie am liebsten sofort als Urlaubsunterkunft buchen würden. Was die Corona-Pandemie, Fußspuren und Ziegen mit diesem Werk zu tun haben, erzähl der Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge von Kunstsnack.

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Dionisio-Gonz-lez/Wittgenstein's-Cabin/F3BA51481175468CA42247E48776FC85/

Das Werk ist vom 29.11.2025 bis zum 12.4.2026 in der Sonderausstellung "Archistories. Architektur in der Kunst" in der Orangerie der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/ausstellung/archistories-architektur-in-der-kunst/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH

Transkript anzeigen

Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle KarlsruheGeschmackvolles Geheimversteck: Wittgenstein's Cabin 10 von Dionisio González, 2021

Ich gucke sehr gerne Architektur-Reels auf Instagram – da sind so wunderschöne Sachen dabei, vor allem von KI-generierter Architektur, weil da plötzlich alles möglich ist. Ehrlich gesagt, habe ich bei manchen Videos anfangs gar nicht gecheckt, dass das KI ist. Ich hab das einfach so hingenommen, dass da easy peasy ein Wasserfall durchs Wohnzimmer rauscht. Normaler Move. Einen ähnlichen Effekt gab es mit dem Kunstwerk der heutigen Folge. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe hatte 2025 auf der Kunstmesse art karlsruhe einen Stand. Dort hing „Wittgenstein’s Cabin 10“ von dem spanischen Künstler Dionisio González. Das ist eine Fotoarbeit aus dem Jahr 2021, die ganz frisch 2025 angekauft wurde. Das Werk war ein mega Publikumsmagnet und viele Leute fanden es schade, dass es die Häuser auf dem Foto gar nicht gibt, sondern die computergeneriert sind. Am liebsten hätten sie das als Airbnb gemietet. Das muss man erst mal schaffen, dass Menschen Urlaub in deiner Kunst machen wollen. Deshalb schauen wir uns das Werk jetzt mal in Ruhe an.

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Schaut euch das Kunstwerk dieser Folge gerne an, in den Shownotes ist ein Link zur Abbildung. Ooooder schaut euch doch gleich das Original an: In der Orangerie der Kunsthalle Karlsruhe eröffnet am 29. November 2025 die Ausstellung „Archistories. Architektur in der Kunst“. Das Ganze läuft bis zum 12. April 2026. In der Ausstellung wird das Werk dieser Folge als eines der Highlights präsentiert und jetzt beschreibe ich es euch.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Okay, wir sehen das Foto eines Fjords. Tief stehende Wolken, klares grünes Wasser Felsen und steile, bewaldete Hänge. Eine traumhafte Landschaft zum Wandern, pure Natur… wären da nicht drei futuristische Bauten im Wasser. Mich erinnern die direkt an Star Wars: außerirdische Architektur auf einem fremden Planeten, eine Mischung aus U-Boot und Ufo. Die drei Gebäude sehen mega cool aus – eine Kombi aus weißen gewölbten Formen und geradlinigeren Holzelementen. Passt auf sehr elegante Art perfekt zur Umgebung des Fjords. Ehrlich gesagt, wäre die Architektur auch ein super Geheimversteck für einen Bösewicht bei James Bond. Ein fieser Schurke mit Allmachtsfantasien, aber gutem Geschmack. Diese Fotoarbeit ist übrigens nicht im Standard-Foto-Format von 10x15 cm. Nee, das hier ist riesig: 110 x 240 cm. Also, nicht ganz so gut geeignet fürs Fotoalbum. Deshalb hängt’s ja an der Wand in der Kunsthalle Karlsruhe! Ok, aber wie ist das alles entstanden und warum kann man die Häuser nicht mieten?

Wie ist es gemacht? Technische Details

Also, ich halte noch mal fest: Diese coolen Gebäude existieren leider nicht wirklich. Sie sind eine Architekturfantasie von Dionisio González. Zuerst hat der Künstler Fotos vom Sognefjord in Norwegen gemacht. In eine dieser Aufnahmen hat er dann am Computer die Gebäude eingefügt, es ist also ein bearbeitetes Foto mit Computer generierter Architektur. Man nennt diese Art Häuser auf dem Kunstwerk übrigens Amphibienhäuser. Das sind Bauwerke auf dem Wasser, die auf Pfosten stehen. Im Prinzip die fancy Version von Hausbooten. Worauf ich bisher noch gar nicht eingegangen bin, ist der Titel der Arbeit „Wittgenstein’s Cabin 10“. Dazu gibt’s nämlich ein paar hervorragende Anekdoten.

Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante Inspirationen

Der Titel „Wittgenstein’s Cabin 10“ spielt auf den österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein an. Der ließ sich 1914 ein Blockhaus in Norwegen bauen. Das hatte einen wunderschönen See-Blick und vor allem war es extrem abgelegen. Oder in anderen Worten: am Arsch der Welt. Wittgenstein suchte ganz bewusst die Stille und Einsamkeit, um sich in aller Ruhe schlaue Gedanken zu machen. Zwei Bauplätze schieden für Wittgenstein aus, weil an dem einen Fußspuren waren und an dem anderen eine Ziegenherde war. Also er wollte keinen Menschen und kein Mäh – ja Ziegen kann ich sehr gut imitieren. Aber das war die Voraussetzung. Wittgenstein wollte komplett ins Off. Seine Hütte wurde dann an einem Felsvorsprung gebaut, über einem See. Es gab keine Straße, nur den Weg per Boot.

Ein Freund von Wittgenstein war der Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell und der schrieb über die Hütte. Ich zitiere: „Ich sagte ihm, da oben sei es dunkel, da erwiderte er, er hasse Tageslicht. Ich sagte, es werde sehr einsam sein, aber er meinte, mit intelligenten Menschen zu reden heiße, seine Seele zu verkaufen. Ich sagte, er sei verrückt, er sagte, Gott möge ihn davor schützen, normal zu sein (ich bin mir sicher, sein Gebet wird erhört werden).“ Insgesamt hielt sich Wittgenstein fünf Mal über verschieden lange Zeiträume in der Hütte auf.

Die ganze Story um diese Hütte beeindruckte den Künstler Dionisio González und inspirierte ihn zu seiner Arbeit „Wittgenstein’s Cabin 10“. Während Corona fragte sich González: Wie würde Wittgensteins Rückzugsort heute oder in der Zukunft aussehen? Dessen Hütte war ja sehr Corona-konform muss man sagen, keine Nachbarn, kein gar nix. Es ging González um genau solche Themen, wie sie uns alle ja während Corona beschäftigt haben: Einsamkeit und Isolation. Aber halt auch die Probleme der Abgeschiedenheit – wenig Einkaufsmöglichkeiten und kein Pizza-Lieferdienst.

Die Corona-Pandemie hatte also auch einen Einfluss auf dieses Werk. Ich hab das damals bei mir auch gemerkt, dass Corona einen auch manchmal kreativ gemacht hat. Ich habe so viel Zeit mit meiner Freundin verbracht und wir haben so viel gespielt, dass wir irgendwann unsere eigene Scrabble-Version erfunden haben. Man darf nur Begriffe legen, die mit den Drei Fragezeichen zu tun haben. Namen sind erlaubt und halt alle Worte, die im Kontext von den Hörspielfolgen vorkommen. Ich weiß, super nerdy, aber großartig. Und Dionisio González hat sich während Corona eben intensiv Gedanken übers Wohnen gemacht. Wittgensteins Hütte hat er auf seinem Foto aufgepimpt. Runter von dem Felsen in den Fjord und die Architektur maximal modern. Eigentlich hat González Wittgensteins Hütte in Schöner Wohnen verwandelt.

Wer hätte das gedacht? Faszinierender Funfact

Zu Wittgensteins gibt es noch eine schöne Anekdote: Einmal soll ein Wanderer zu der abgelegenen Hütte gekommen sein. Daraufhin rastet Wittgenstein wohl ziemlich aus, weil er beim Arbeiten gestört wurde. Er meinte sinngemäß: „Danke, jetzt brauche ich zwei Wochen, um wieder da ansetzen zu können, wo ich gerade in Gedanken war, du Vogel!“ Ok, das „Vogel“ dürfte er nicht gesagt haben. Aber Wittgenstein reagierte angeblich sehr ungehalten, wenn er in seiner Einöde gestört wurde. Mit einem Postboten soll es zu einem ähnlichen Fall gekommen sein.

Im nächst gelegenen Ort Skjolden nannte man die Hütte übrigens Kleinösterreich, weil Wittgenstein Österreicher war. Und bevor die Frage aufkommt, ob wenigstens das ein Airbnb ist: Nein, das Haus wurde 2019 wieder aufgebaut und soll für Philosoph*innen und Studiengruppen zu Verfügung stehen. Aber wehe, es kommt ein Postbote vorbei!

Wer hat‘s gemacht? Künstler im Spotlight

Dionisio González wurde 1965 in Spanien geboren und hat Fotografie studiert. Er befasst sich häufig mit übersehenen Orten wie etwa Slums oder mit Gebieten, die von Naturkatastrophen betroffen sind. Er entwirft architektonische Utopien für diese Orte, verschönert sie, wertet sie auf, schafft Aufmerksamkeit. González möchte Utopien erschaffen. Nach dem Motto: „Schaut mal, so könnte die Welt hier auch aussehen.“

Es geht González um Themen wie die Klimakatastrophe und wie sich unsere Lebensbedingungen wandeln. Für diese Zukunft entwirft er seine Fantasiebauten, die zeigen: Ästhetik, sozialer Nutzen und Fortschritt schließen sich nicht aus. Die bewusste, gerechte Zukunft kann auch schön sein. So schön, wie die „Wittgenstein’s Cabin 10“. Die Gebäude fügen sich organisch in die Landschaft ein und bei einer Überflutung wäre man in den Amphibienhäusern automatisch geschützt.

Vielleicht macht es Airbnb eines Tages möglich. Mit Kunst hat es das Unternehmen nämlich durchaus Berührungspunkte. 2019 verloste Airbnb eine Nacht im Louvre, inklusive Privat-Dinner vor der Mona Lisa. Ich habe mich damals direkt beworben. Dafür musste ich eine Begründung schreiben, wieso ich die Nacht im Museum verdient hätte. Meine Bewerbung war emotionaler als jeder Liebesbrief, den ich in meinem Leben geschrieben habe. Gewonnen habe ich leider nicht. Das kann auch daran gelegen haben, dass sich noch 182.000 andere Leute beworben haben.

Naja, die wiederaufgebaute Hütte von Wittgenstein kann man heutzutage immerhin besichtigen, aber Achtung! Laut der Wander-App Komoot ist der Weg sehr rutschig. Wenn ihr weniger Risiko eingehen wollt, dann geht einfach in die Kunsthalle Karlsruhe. Hier wird „Wittgenstein’s Cabin 10“ vom 29. November 2025 bis 12. April 2026 in der Orangerie ausgestellt. Danke euch fürs Zuhören, bis zur nächsten Folge in 2 Wochen, Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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