Begräbnis in Boje? Die Seine bei Rouen von Claude Monet | #75
Shownotes
Everybodys Darling: Der Künstler dieser Folge ist ein richtiger Superstar. Zu Beginn seiner Karriere wurde er allerdings für seine Kunst ausgelacht. Es geht um Claude Monet, der vor allem für seine Seerosenbilder bekannt ist. Monet liebte das Wasser, eine Liebe, die in seinem Werk in der Kunsthalle deutlich wird. Welche Erfindung Monets Malerei veränderte und wieso uns diese bis heute vor Karies schützt, erzählt Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge von Kunstsnack.
Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Claude-Monet/Die-Seine-bei-Rouen/E6F223D04821161F32098BB6AFFA6E2F/
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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze, Leonie Stieber
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH
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Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Begräbnis in Boje? Begräbnis in Boje? Die Seine bei Rouen von Claude Monet
Der Künstler, um den es heute geht, hatte am Ende seines Lebens einfach 6 Gärtner. Ein Gärtner hat sich nur um den Seerosen-Teich gekümmert. Beim Stichwort Seerosen ahnt ihr es vielleicht schon: Die Rede ist von Claude Monet. 6 Gärtner… lief bei Monet. War Monet einfach ein Glückspilz, ein Gustav Gans der Kunst? Nee, ganz so war’s nicht. Bei Monet lief es nicht immer so gut, lange sah es bei ihm weniger nach Gärtnern aus und vielmehr nach Geldsorgen. Am Anfang seiner Karriere hatte er mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Teilweise musste er die Rückseiten von Leinwänden bemalen, weil er sich keine neuen leisten konnte. Monets Kunst wurde lange nicht anerkannt, teils sogar verlacht. Wie also schaffte es der Künstler vom Nobody zum Everybody's Darling?
Ein Puzzle-Stück auf diesem Weg ist das Bild „Die Seine bei Rouen“ aus dem Jahr 1874. Das gehört der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe und ist das Thema dieser Podcastfolge. Anhand dieses Bildes können wir viel lernen – über den Impressionismus, über Monets Werdegang und über Zahnpastatuben. Also, los geht’s!
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
Das Bild dieser Folge ist richtig nice. Der Blick in die Shownotes lohnt sich, denn da ist ein Link zur Abbildung. Aber genug gelabert, hier ist die Bildbeschreibung.
Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung
Das Gemälde von Monet zeigt einen Fluss mit Schiffsverkehr, ein Schiff ist besonders groß ins Bild gesetzt. Die Bootsmasten ragen in den bewölkten Himmel. Am Ufer sind Bäume und im Hintergrund ist eine Stadt angedeutet. Der Titel gibt uns eine Ahnung, wo wir uns befinden, denn das Bild heißt „Die Seine bei Rouen“. Rouen ist nämlich null zu erkennen, die Stadt besteht nur aus ein paar hingeworfenen Pinselstrichen. Und damit sind wir beim zentralen Aspekt dieses Bildes: Die Malweise. Das gesamte Bild wirkt leicht verschwommen wie die Sicht nach einer Flasche Wein. Allerdings hat Monet nicht knülle gemalt, wobei Moët und Monet schon gut zusammen klingen. Nein, die lockere Pinselführung ist Monets Markenzeichen. Die Wasseroberfläche der Seine zum Beispiel wird von vielen horizontal gesetzten Strichen und Tupfern gebildet. Erst aus der Entfernung setzt sich alles zu einem klaren Bild zusammen. Monet ist vermutlich beim Malen oft vor und zurück gegangen vor der Leinwand. So kann man auch auf seine 10.000 Schritte am Tag kommen.
Die Malweise wirkt insgesamt flirrig-strichelig und doch ist es ein wohl geordnetes Gewirr. Die Bäume am Ufer und das große Schiff sind mit breiten Pinselstrichen gemalt, Details nur angedeutet, Konturen verwischt. Das macht den Reiz dieses Bild aus. Alles erscheint hier mit spielerischer Leichtigkeit gemalt. Das Bild bekommt dadurch einen lockeren Vibe. Exakt das wollte Monet erreichen, er wollte die Atmosphäre einfangen. Monet liebte das Wasser, er wuchs in einer Hafenstadt auf und besaß ein kleines Atelierboot, mit dem er auf dem Wasser malen konnte. Monet sagte mal: „Ich möchte immer das Meer sehen oder auf dem Meer sein, und wenn ich sterbe, möchte ich in einer Boje begraben werden.“ Stabiler Wunsch. Für mich wär das gar nix, da würde mir im Jenseits ja dauernd schlecht werden vom Seegang. Naja… dem Wasser war Monet auf jeden Fall verbunden, wie man ja auch bei seinen späteren Seerosenbildern sieht. Dann schauen wir uns jetzt mal die Kunstströmung an, die Monet maßgeblich geprägt hat: den Impressionismus.
Der Epochen-Check
Der Impressionismus kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Man wollte spontane Augenblicke festhalten, es ging um gemalte Momentaufnahmen. Das Ziel war Stimmungen und Atmosphären einzufangen. Typisch für den Impressionismus ist eine strichelige, dynamische Malweise wie auf dem Monet-Bild in der Kunsthalle Karlsruhe. Die Kunstschaffenden des Impressionismus arbeiteten viel im Freien und direkt malten in der Natur. Man befasst sich unter anderem mit der Frage: Wie malt man Licht? Impressionistische Bilder sind oft hell, gerne wird das locker-leichte Leben gezeigt. Wenn ich impressionistische Bilder sehe, kriege ich immer direkt Bock auf Aperol Spritz. Heutzutage ist der Impressionismus eines der beliebtesten Kalender-Motive, Leute rennen zu hunderttausenden in Impressionismus-Ausstellungen, alle lieben den Impressionismus. Aber das war nicht immer so. Anfangs wurde der regelrecht gehatet.
Die Leute waren anfangs überfordert von der neuartigen Malweise dieser Kunstrichtung. Es gibt eine Karikatur von damals, die einen impressionistischen Maler zeigt, der mit einem Besen malt. So grob hat man diese Malerei damals empfunden. Insgesamt gab es acht Impressionismus Ausstellungen, die erste war 1874, also im selben Jahr, in dem das Bild der dieser Folge erschienen ist. Die zweite Ausstellung war zwei Jahre später, 1876. Und dazu schrieb die Satire-Zeitschrift „Figaro“ (ich zitiere): „Viele bekommen Lachkrämpfe vor diesen Machwerken; mir zog sich das Herz zusammen. Diese selbsternannten Künstler nennen sich Umstürzler, Impressionisten; sie nehmen Leinwand, Farbe und Pinsel, setzen, wie es gerade kommt, einige Töne nebeneinander und unterzeichnen das Ganze … Schaurige Beispiele menschlicher Eitelkeit, die sich im Wahnsinn verlieren.“ Puhh… da lässt jemand kein gutes Haar an dieser zweitem Impressionismus –Ausstellung.
Um zu verstehen, woher diese vernichtende Kritik kommt, sollte ich euch vielleicht kurz erzählen, was die Leute in der 2. Hälfte im 19. Jahrhundert für Kunst gewohnt waren. Und zwar war das sogenannte akademische Malerei – da ging es darum alles schön exakt und wirklichkeitsgetreu zu malen. Dagegen erschienen die Werke des Impressionismus unfertig und eher wie eine Skizze. Die akademische Malerei wurde auch Salonmalerei genannt, denn schon seit dem 17. Jahrhundert gab es in Paris den Salon. Das waren regelmäßig stattfindende Ausstellungen, im 19. Jahrhundert jährlich. Wenn man als Künstler Erfolg haben wollte, dann war es wichtig hier auszustellen. Allerdings gab es eine Jury, die die Einreichungen ausgewählt hat. Ja, wirklich. Das war quasi eine Jury wie bei Deutschland sucht den Superstar – die Salon-Jury war auch ähnlich streng unterwegs wie Dieter Bohlen.
Von dieser klassischen Salonmalerei grenzten sich die impressionistischen Künstler*innen ab, gleichzeitig versuchten sie aber auch im Salon stattzufinden. Auch sie wollten Anerkennung. Monet wird immer wieder abgelehnt, es werden aber auch Werke von ihm für den Salon angenommen. 1870 kehrt Monet dann dem Salon den Rücken, vier Jahre später gehen die impressionistischen Ausstellungen los.
Ich hatte ja erzählt, dass es Monet in den 1870ern finanziell nicht gut geht. In den 1880er wird es dann besser. Er hat seine erste Einzelausstellung, wird gefördert, seine Kunst verkauft sich, der internationale Fame setzt langsam ein. Der Impressionismus wurde dann von anderen Kunstschaffenden aufgegriffen und setzt sich schließlich durch. Und so kam es bei Monet zum spektakulären Werdegang: Von Gegenwind zu 6 Gärtnern.
Ein Zitat von Monet bringt noch mal sehr schön auf den Punkt, was er mit der impressionistischen Malerei wollte und wie sie sich vom Rest unterscheidet. Hier das Zitat: „Ich verfolge einen Traum, ich will das Unmögliche. Die anderen Maler malen eine Brücke, ein Haus, ein Boot. Sie malen die Brücke, das Haus, das Boot und sind fertig … Ich möchte die Atmosphäre malen, in der die Brücke, das Haus, das Boot sich befinden. Die Schönheit der Stimmung, in der sie sind, und das ist nichts anderes als das Unmögliche. Oh, wenn ich mich doch mit dem Möglichen zufriedengeben könnte!“ Zum Glück hat er sich nicht mit der Norm zufrieden gegeben, sonst hätten wir nicht das grandiose Bild dieser Folge.
Wer hätte das gedacht? Faszinierender Funfact
Ich hatte beim Impressionismus eben nebenbei erwähnt, dass die viel draußen gemalt haben. Man nennt das auch Pleinair-Malerei – also unter freiem Himmel. Auch das Bild „Die Seine bei Rouen“ ist wohl so entstanden. Dafür war aber eine Erfindung nötig: Die Farbtube. Erfunden wurde die von dem amerikanischen Maler John G. Rand, der meldete das Patent 1841 an. Vorher musste man die Farben immer erst kurz vor dem Malen im Atelier anmischen, also jedes Mal frisch. Richtig nervig. Und dann wurden die Farben oft in Schweineblasen transportiert. Die waren aber nicht gut wiederverschließbar. Die Farbtube war also mega wichtig für die Freilichtmalerei und die Farbtube war der Vorläufer der Zahnpastatube. Also ohne die Kunst, wäre Zähneputzen schwierig. Kunst schützt euch vor Karius & Baktus… mehr oder weniger.
In diesem Sinne: Putzt brav eure Zähne und schaut euch Monet an. Mehr bleibt mir nicht zu sagen. Die nächste Folge Kunstsnack kommt wie immer in zwei Wochen. Bis dahin, macht’s gut. Ciao.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.
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