Fahndungsbild mit Fingermalerei: Bildnis des Schauspielers Karl Etlinger von Oskar Kokoschka | #74
Shownotes
In dieser Kunstsnack-Folge dreht sich alles um ein Porträt und die spannenden Geschichten, die sich darum drehen. Dabei griff der Künstler Oskar Kokoschka zu einer ungewöhnlichen Maltechnik und nutzte statt Pinsel und Palette seine Hände. In welcher Beziehung Kokoschka zu seinem Modell Karl Etlinger stand und weshalb er neben seinem klangvollen Namen auch als schwierige Persönlichkeit bezeichnet wird, erzählt Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge.
Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Oskar-Kokoschka/Bildnis-des-Schauspielers-Karl-Etlinger/626AE8194361988B64C40D975BFB6BD3/
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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze, Leonie Stieber
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH
Transkript anzeigen
Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Fahndungsbild mit Fingermalerei: Bildnis des Schauspielers Karl Etlinger von Oskar Kokoschka
Wusstet ihr, dass Willy Brandt ein Künstlername war? Klingt ja auch stark: Willy Brandt. Stärker als sein bürgerlicher Name Herbert Ernst Karl Frahm. Auch in der Kunst sind Namen und Titel wichtig. Ich war zum Beispiel letztens in einer Ausstellung und die hieß allen Ernstes „Bilder vom Schlafen und Gehen“. Wer dachte sich: „Jap, das ballert!“ Ich bin selbst nicht besser: Ich bin jahrelang auf der Bühne aufgetreten unter dem Pseudonym „Jey Jey Glünderling“. Das war komplett bescheuert, niemand konnte sich das merken.
Aber manchmal braucht es auch gar keinen Künstlernamen, der bürgerliche Name reicht völlig aus. Es gibt ja Namen, die verpflichten einen förmlich dazu Künstler zu werden. Zum Beispiel Oskar Kokoschka. Allein der Klang – wie Paukenschläge. Os-kar Ko-kosch-ka. Bääm!
Heute geht es um genau diesen Oskar Kokoschka. Es geht um seine Kunst und um seine durchaus…spezielle Persönlichkeit. In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe befindet sich ein Gemälde mit dem Titel „Bildnis des Schauspielers Karl Etlinger“. Das stammt aus dem Jahr 1912. Und da nicht nur Kokoschkas Name stark ist, sondern auch seine Malerei, fangen wir direkt an. Viel Spaß!
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
Schaut euch das Bild dieser Folge gerne in Ruhe an. In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung.
Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung
Bevor ich euch das Bild beschreibe, hier ganz kurz ein, zwei Infos zum Dargestellten, denn das Gemälde heißt ja „Bildnis des Schauspielers Karl Etlinger“. Karl Etlinger war ein Freund von Kokoschka und hatte in dem Stück mit einem ziemlich creepy Titel „Mörder, Hoffnung der Frauen“ mitgespielt. Das Drama war ziemlich skandalträchtig und wer hatte das Stück geschrieben? Oskar Kokoschka himself. Der war nämlich nicht nur Maler, sondern schrieb auch Theaterstücke, Erzählungen und Essays.
Ok, aber jetzt zum „Bildnis des Schauspielers Karl Etlinger“: Wir sehen einen Mann in einem dunklen Anzug vor einem dunklen Hintergrund. Wir sehen seinen Oberkörper, er scheint zu sitzen. Er spielt mit den Händen und guckt sehr fokussiert – also wirklich sehr ernst. Der Gesichtsausdruck hat den Charme von einem biometrischen Passfoto. Würde auch ein stabiles Fahndungsplakat abgeben. Der Mann hat kurze schwarze Haare, ein rundes Gesicht, eine große Nase und kleine, wache Augen. Ehrlich gesagt, ist das Motiv nicht so mega spannend. Was das Bild spannend macht, ist die Malweise.
Der Pinselstrich ist irgendwo zwischen ungestüm und präzise. Das Bild wirkt auf den ersten Blick grob, aber die Konturen im Gesicht sind dennoch ziemlich exakt. Figur und Hintergrund scheinen ineinander überzugehen, es gibt wenig konkrete Abgrenzung. Vor allem im unteren Bereich geht die Kleidung einfach in die Farbefläche des Umraums über. Dadurch scheint der Dargestellte zu schweben. Das Bild ist eine einheitliche, im verschiedenen dunklen Tönen gestaffelte Farbfläche. Nur das helle Gesicht sticht hervor. Ein technischer Kniff, um unsere Aufmerksamkeit zu lenken. Die Arbeitsweise von Oskar Kokoschka war eh spannend, dazu jetzt mehr.
Wie ist es gemacht? Technische Details
Kokoschka wollte in seinen Porträts Natürlichkeit einfangen. Seine Lösung: Sich mit den Modellen beim Malen unterhalten oder sie bei Alltagstätigkeiten malen. Wir kennen das von Fotos: Wir agieren am natürlichsten, wenn wir die Kamera nicht wahrnehmen. Denn sonst gleiten wir in die immergleichen Posen ab. Ich setze zum Beispiel immer mein Standard-Schwiegersohn-Lächeln auf und das ist mir dann minutenlang ins Gesicht getackert ohne irgendeine Varianz.
Ok, zur Maltechnik: Das Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe entsteht 1912. In dieser Zeit malt Kokoschka nicht nur mit dem Pinsel. Er malt auch mit den Fingern und kratzt teilweise die Farbe mit den Nägeln wieder weg. Stilecht mischte er seine Farben dafür in der Handfläche. Clever, so spart man sich die Palette. Durch diese Technik bekommt das Bild Charakter und einen sehr vielfältigen Farbauftrag. Hier wird noch richtig Hand angelegt.
Natürlich ist Kokoschka nicht der Erste, der so arbeitet. Ein spannender Vorläufer ist der chinesische Künstler Gao Qipei. Er wird tatsächlich so ausgesprochen, ich hab extra nachgesehen. Falls ihr auch nachsehen möchtet er wird so geschrieben: G A O Q I P E I. Er war vor über 300 Jahren tätig und malte hauptsächlich Landschaften und das gerne mit den Fingern. Bei ihm kann man wirklich von künstlerischer „Handschrift“ sprechen. Denn Goa Qipei ließ sich einen Fingernagel lang wachsen und spaltete ihn in der Mitte wie eine Zeichenfeder. Praktisch, so hatte er sein Malwerkzeug immer am Mann. Der Ausdruck und die Präzision seiner Kunst sind beeindruckend, meine Fingermalerei sähe dagegen aus wie von einem grobmotorischen Gorilla. Also, mit den Fingern ist eine Menge möglich.
Wer hätte das gedacht? Faszinierender Funfact
Während der Modellsitzungen für das Porträt aus der Kunsthalle Karlsruhe, kam es zu einem skurrilen Zwischenfall. Der Schauspieler Karl Etlinger wurde krank und konnte nicht kommen. Also schickte er einen Schauspielkollegen. Kokoschka hatte kein Problem damit. Und ein weiterer Funfact, das „Bildnis des Schauspielers Karl Etlinger“ gehörte eine Zeitlang dem berühmten Maler Egon Schiele, der bekannt ist für die verdrehten Posen seiner Modelle und seine rabiate Strichführung. Das nur mal kurz als Name-Dropping
Wie wichtig ist das Kunstwerk?
Das Bild dieser Folge hat eine bewegte Geschichte und diese Geschichte ist wichtig, denn sie erinnert uns an ein sehr dunkles Kapitel in der deutschen Vergangenheit. 1937 eröffnete in München die Ausstellung „Entartete Kunst“. Man setzt diesen Begriff in Anführungszeichen, weil es sich um einen Nazi-Begriff handelt. Alle Kunst, die den Nazis nicht gepasst hat, nannten sie „entartet“, vor allem die moderne Kunst, zu der Kokoschka gehörte. 1937 gab es eine riesige Beschlagnahmungsaktion von sogenannter „entarteter Kunst“ in Museen und Sammlungen – das betraf abertausende Werke. Einige davon landeten in der Ausstellung „Entartete Kunst“. Hier wurden viele moderne Werke gezeigt, aber es war keine normale Ausstellung. Es war eine Schmäh-Ausstellung. Sprüche an der Wand machten sich über die Bilder lustig. Die Kunstschaffenden wurden beleidigt und es sollte Wut auf die Moderne geschürt werden. Die Kommentare an den Wänden waren echt übel und sehr diffamierend. Von Oskar Kokoschka waren mehrere Bilder vertreten – unter anderem das „Bildnis des Schauspielers Karl Etlinger“. Die Ausstellung tourte durch viele Städte, insgesamt sahen sie über 2 Millionen Menschen. Viele „entartete“ Werke wurden von den Nazis ins Ausland verkauft oder zerstört. Ein Bild von Kokoschka wird zum Beispiel von der Gestapo in Wien zerschnitten.
Das „Bildnis des Schauspielers Karl Etlinger“ aus der Kunsthalle Karlsruhe ist also ein wichtiges historisches Werk. Kokoschkas Biografie ist ebenfalls von der Geschichte geprägt. 1886 wird er in Niederösterreich geboren. Lebte dann in Wien, Dresden und wieder Wien. 1934 flüchtet er dann vor den Nazis von Wien nach Prag und ging 1938 ins Exil nach Großbritannien.
Kurioses aus der Kunstwelt
War Oskar Kokoschka ein Hellseher? Er pflegte diesen Mythos von sich auf jeden Fall und meinte, er hätte das Schicksal all der Menschen voraussagen können, die er malte. Steile These. Was man auf jeden Fall sagen kann, dass Kokoschka sehr genau hingeschaut hat. Er versuchte die Persönlichkeit einzufangen und die Bildnisse waren nicht immer schmeichelhaft. Oft sahen die Leute auf seinen Bildern älter aus, als sie eigentlich waren. Der Erzähler und Lyriker Albert Ehrenstein sagte über Kokoschka: „Er ist kein Fleischhacker, sondern ein Seelenaufschlitzer, er legt, Hand und Kopf malend, in einer gespenstigen Weise das geistige Skelett der von ihm Portraitierten bloß. Diese Art grausamer Psychotomie lässt sich mit Vivisektion vergleichen.“ Vivisektionen sind operative Eingriffe ohne Betäubung – meistens an Tieren. Also schon ein ziemlich krasses Zitat.
Eine weitere sehr kuriose Geschichte über Kokoschka habe ich letztens im Museum gelernt. Ich war der Ausstellung „Frau in Blau“ im Folkwang Museum in Essen. Es ging um Kokoschkas bizarre Beziehung zu der Komponistin Alma Mahler. Kokoschka war ziemlich obsessiv. Insgesamt schrieb er ihr über 400 Liebesbriefe. Die Beziehung ging nur drei Jahre. Ey, wie viel hat der Typ geschrieben? Hätte es damals schon diese Ohne-dich-ist-alles-doof-Schafe gegeben, hätte er Alma Mahler damit komplett überschüttet. 1915 trennten sich die beiden, aber Oskar Kokoschka war weiterhin völlig im Modus. Er engagierte eine Puppenmacherin, um eine Alma Mahler Puppe zu bekommen. Er war regelrecht besessen davon. In 12 Briefen und Skizzen erläuterte er der Puppenmacherin, wie genau die Puppe gestaltet sein sollte. Ehrlich gesagt sah die Puppe am Ende ein bisschen aus wie Samson von der Sesamstraße, auch Kokoschka war enttäuscht. Trotzdem malte er die Puppe jahrelang in seine Bilder und schließlich köpfte er die Puppe feierlich. Bitte was??! Das ist alles so creepy und problematisch. Ihr merkt also, wir haben es hier mit einem ziemlich speziellen Künstler zu tun: Sehr schöner Name, aber schwierige Persönlichkeit.
Ok, damit sind wir am Ende dieser Folge angelangt. Ich hoffe, ihr konntet ein bisschen was mitnehmen. Abonniert gerne kostenlos diesen Podcast. In zwei Wochen kommt die nächste Folge Kunstsnack. Bis dann, machts gut, Ciao.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.
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