Nägel mit Köpfchen: Interferenzen von Günther Uecker | #73

Shownotes

Diese Kunst ist der Hammer! Günther Uecker machte sich mit Nägeln einen Namen. Damit schuf er nicht nur dreidimensionale Nagelbilder oder Prägedrucke, sondern er schlug sie auch in Objekte wie einen Fernseher, ein Klavier oder Möbelstücke. Welches Schlüsselerlebnis ihm die Inspiration für seine Kunst lieferte und wie er sich mit seiner Kunst für die Menschenrechte einsetzte, erzählt der Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge des Kunstsnack.

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/G%C3%BCnther-Uecker/Interferenzen/1A83D1514016778F1A3D63A9E4A473F2/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze, Leonie Stieber
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH

Transkript anzeigen

Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Nägel mit Köpfchen: Günther Uecker

Ich sag mal so: Humor ist ja manchmal in der Kunstwelt Mangelware, aber der Künstler Günther Uecker hatte Humor. Er ist vor allem bekannt für seine Nagelbilder, da schlug er teils hunderte Nägel in eine Platte. Das klingt erst mal langweilig, aber die Nägel sind in verschiedenen Winkeln eingeschlagen und bilden echt spannende Dynamiken. Das Licht-Schatten-Spiel ist super bei Uecker. Er hat sogar Schuhe und ein Bett voll genagelt. Der Typ war völlig vernagelt! Ok, also Nägel sind Günther Ueckers Markenzeichen und dann hat er mal einen Hammer auf einer Platte angebracht mit dem großartigen Titel „Do it yourself“. Da hat er der Kunst wirklich gezeigt, wo der Hammer hängt.

Uecker hätte sicher auch große Freude an meiner Business-Idee als Kind gehabt. Ich hatte nämlich mit sieben eine kleine Werkbank. Ich hab gespielt, dass ich ein Geschäft hab und krumme Nägel wieder gerade schlage mit dem Hammer. Meine Hauptarbeitszeiten waren Samstag und Sonntag ab halb sieben morgens. Meine Eltern haben es geliebt. Wir schauen uns heute Ueckers Werk in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe an. Das stammt aus dem Jahr 1993 und trägt den Titel „Interferenzen“. Dann starten wir jetzt in eine echte Hammer-Folge. Los geht’s.

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Gleich kommt wie immer die Werkbeschreibung. Wenn ihr euch selbst ein Bild machen wollt: In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Ueckers Werk „Interferenzen“ ist schnell beschrieben: Es ist ein weißes Blatt Papier. Nichts ist drauf gemalt. Das ganze Blatt ist stattdessen übersät von runden Abdrücken, von Nagelabdrücken und zwar immer der Kopf. Uecker hat hier also im wahrsten Sinne den Nagel auf den Kopf getroffen. Wir haben es hier also mit ganz vielen hervorstehenden Punkten zu tun. Alles ist voll damit, überall Punkte. Ein bisschen so stelle ich mir das Gesicht vom Sams vor mit all seinen Wunschpunkten – wobei die halt blau sind. Insgesamt sind die Nagel-Abdrücke in runden Mustern angeordnet. Dieses Werk ist also eine runde Sache. Eine Info noch zum Titel „Interferenzen“ bedeutet Überlagerung oder Überschneidung. Wobei sich die 3D-Punkte hier gar nicht überlagern, sondern schön nebeneinander sind. Aber wie hat der Künstler das überhaupt hingekriegt? Das schauen wir uns jetzt an.

Wie ist es gemacht? Technische Details

Für das Werk aus der Kunsthalle Karlsruhe hat Uecker viele, viele Nägel in eine Holzplatte gekloppt. Dann benässte der Künstler ein Blatt Papier und presste es über die Nagelplatte. Das Papier schmiegte sich an und so entstanden geschmeidige Übergänge zwischen den Nagelabdrücken. Es sieht ein bisschen so aus, als hätte es auf diese Nagelplatte geschneit. Alles weiß, alles gleichmäßige Erhöhungen und alles wirkt weich. Wir haben es hier mit einem sogenannten Prägedruck zu tun. Ihr könnt das Zuhause easy mit einem nassen Papier ausprobieren und über eine Münze legen. Zack! Habt ihr Euro-Papier. Durch seine Technik gewinnt Uecker dem Papier eine neue Qualität ab. Es ist nicht mehr flach, sondern wird plastisch wie ein Relief. Ohne zu Hämmern arbeitet Uecker hier mit Nägel und Papier. Aber warum wurden Nägel überhaupt sein Markenzeichen? Wie kam es dazu? Ich erzähle euch jetzt mal ein bisschen was zu den zentralen Einflüssen und Hintergründen.

Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante InspirationenEinige Erklärungen für Ueckers Nagel-Obsession lassen sich in seiner Biografie finden. Uecker wird 1930 geboren und wächst auf der Halbinsel Wustrow auf. 1945 ist er 14 Jahre alt, als die Sowjetunion die Halbinsel einnimmt. Uecker versucht seine Mutter und seine Schwestern vor den Soldaten zu schützen und macht was? Er nagelt die Tür Haustür zu. Er beschreibt diesen Moment später als ein Schlüsselerlebnis. Da versteht man seine tiefe Verbundenheit zu Nägeln schon mehr.

Ein weiterer biografischer Einfluss ist Ueckers Familie, denn die arbeitet in der Landwirtschaft. Uecker nennt seine Nagelbilder auch „Felder“ und vergleicht eingeschlagene Nägel mit Pflanzen auf dem Feld. Für ihn bedeutet es viel Anstrengung zig Nägel konstant einzuschlagen – so wie das Bestellen eines Feldes sehr viel Anstrengung benötigt. Ich persönlich finde den Vergleich von Nägeln und Pflanzen etwas… hinkend. Aber bei mir in Frankfurt gibt es eine Gärtnerei, die heißt „Gärtnerei Nagel“ – also so weit scheinen Pflanzen und Nägel dann doch nicht zu sein.

Ein weiterer Einfluss von Uecker ist der russische Dichter Wladimir Majakowski, der sagte mal: „Poesie wird mit dem Hammer gemacht.“ Ein starker Satz, der natürlich super zu Uecker passt. Insgesamt stellt dieser Dichter für Uecker eine große Inspiration dar. Ok, das waren ein paar Einflüsse. Und jetzt werfen wir mal einen Blick auf die inhaltlichen Aussagen seiner Kunst.

Worum geht’s hier eigentlich? Die Message

Günther Uecker hat übrigens auch gemalt und Lichtkunst gemacht und bewegliche Objekte hergestellt. Ein Multimedia-Künstler. Aber bekannt ist er vor allem für seine Nagelbilder. Die ersten davon entstehen 1957. Teilweise sind sie klar komponiert und geplant, manchmal aber auch intuitiv und zufällig. Mit den Werken verbinden sich verschiedene Aussagen, denn Uecker sieht Kunst als politisches Statement. Er will Nägel mit Köpfen machen, bzw. eher Nägel mit Köpfchen.

An wen denkt man sofort, wenn’s um Nägel und Tod geht? Genau. Jesus. Mit Nägeln ist also durchaus eine christliche Symbolik verbunden. Sie gelten als Leidenswerkzeuge und stehen für den Tod von Christus am Kreuz. Wobei es Uecker vor allem um die allgemeine Verwundbarkeit des Menschen geht. Er selbst sagte dazu: „Das Thema meiner künstlerischen Arbeit ist die Verletzbarkeit des Menschen durch den Menschen.“

Uecker positioniert sich außerdem viel gegen Unrecht und engagiert sich für Menschenrechte. Mit dem Werk „Interferenzen“ aus der Kunsthalle Karlsruhe sollte ein Zeichen gegen Folter gesetzt werden. Das sieht man dem Werk selbst jetzt nicht direkt an. Aber es ist wichtig, in welchem Kontext das entstanden ist. Und zwar ist „Interferenzen“ Teil einer Kunstmappe. 19 Werke von verschiedenen Kunstschaffenden waren da drin. Der Titel lautete „Künstler gegen die Folter“. Die Mappe sollte die Organisation APT unterstützen, das steht übersetzt für „Vereinigung für die Verhütung der Folter“. Der Name ist hier Programm. Die Werke in der Mappe setzten sich also alle im weitesten Sinne mit Folter auseinander. Und natürlich sind Nägel auch ein Folterinstrument und die bleibenden Spuren von Nägeln haben auch damit zu tun. Diese leere, weiße Blatt ist also politischer als man denkt.

Günther Uecker ist leider am 10. Juni 2025 gestorben. Er wurde 95 Jahre alt und hat seine Karriere auch im hohen Alter immer noch nicht an den Nagel gehängt. Ich finde es super spannend, wie viel Uecker aus unspektakulären Nägeln heraus geholt hat. Das ist wahre Kreativität und die sprudelte aus Uecker nur so heraus, während andere in die Röhre guckten. Denn einen Fernseher hat Uecker natürlich auch schon voll genagelt.

So, damit sind wir am Ende dieser Folge. Aber in zwei Wochen geht’s ja schon weiter. Dann kommt die nächste Folge Kunstsnack. Bis dann, macht’s gut, Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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