Ein Leben für die Kunst: Drei Jungfrauen von Marie Ellenrieder | #70

Shownotes

Die Frau dieser Folge hat für ihre Kunst gelebt: Marie Ellenrieder war eine erfolgreiche und ambitionierte Künstlerin des 19. Jahrhunderts sowie Hofmalerin in Karlsruhe. Was es mit der Kunstströmung der Nazarener auf sich hat und wovor Ellenrieder auch bei ihren Freund*innen nicht haltmachte, erzählt Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge von Kunstsnack.

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Marie-Ellenrieder/Drei-Jungfrauen/0A36194FA9204348A262790E3E096200/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH

Transkript anzeigen

Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Ein Leben für die Kunst: Marie Ellenrieder

In der heutigen Folge geht es um die Künstlerin Marie Ellenrieder. Von ihr stammt folgendes Zitat über das Unverheiratet-Sein: „Der ledige Stand ist eben in der Kunst der Beste. Man arbeitet, lebt und stirbt leichter.“ Wow, da merkt man, wie sehr diese Frau für die Kunst gelebt hat... und wie wenig Bock sie auf die Ehe hatte. Falls ihr von Marie Ellenrieder noch nie was gehört habt, keine Sorge. Mir ging's genauso. Aber genau das finde ich schön an Kunstsnack, dass man immer wieder neue Kunstschaffende kennenlernt. Also, wer ist diese Frau, die so viel Commitment für die Kunst zeigt? Das schauen wir uns gleich näher an und auch ihre Kunst. Denn heute geht es um das Bild „Drei Jungfrauen“ aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Gemalt wurde das 1849. Dann machen wir jetzt mal eine Zeitreise mitten ins 19. Jahrhundert. Viel Spaß!

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Ihr wollte das Bild sehen, über das ich gleich reden werde? Kein Problem. Schaut einfach die Shownotes von dieser Folge. Dort ist ein Link zur Abbildung. Und jetzt gehe ich näher auf das Bild ein.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Noch mal zur Erinnerung: Das Bild dieser Folge trägt den Titel „Drei Jungfrauen“ und genau das sehen wir auch. Drei Frauen sind ins Gespräch miteinander vertieft. Sie stehen eng beieinander, gestikulieren und eine Frau legt der anderen ihre Hand auf die Schulter. Sie tragen alle Schleier und Blumen auf dem Haar, dazu haben sie weite Gewänder an in rot, blau und türkis. Falls ihr euch jetzt ein paar Hippies vorstellt mit Blumen im Haar vorstellt mit wallenden Kleidern, dann liegt ihr weit daneben. Die Frauen sehen wirklich sehr fromm aus, ihre Gesichtsausdrücke wirken konzentriert und ruhig, gleichzeitig wirken alle drei aber auch ein bisschen in sich gekehrt und weggetreten. Das Bild zeigt ja eine Gesprächssituation, aber worüber reden die drei? Lästern sie? Diskutieren sie, ob Kinder Buenos mit weißer oder normaler Schokolade besser sind? Die Antwort ist natürlich weiße Schokolade. Tatsächlich verrät uns das Bild, worüber die drei Frauen reden, denn ganz oben steht in goldener Schrift: „Lasst uns von Gott reden und seinen heiligen Geboten.“ Das ist also eine Art Motto oder Leitspruch für dieses Bild. Es soll ganz klar um Religion gehen. Nix mit Kinder Bueno. Die drei Frauen bilden also einen heiligen Hattrick.

Kommen wir zur Malweise: Die Farben des Bildes sind warm. Die Haut der Frauen ist makellos. Es ist eine Haut wie aus einer Beauty-Werbung. Die Malweise ist präzise, deutlich und aalglatt, als hätte man ein paar Instagram-Filter drübergelegt. Die Frauen stehen vor einem Goldgrund mit floralen Verzierungen. Vor ihnen ist unten im Bild noch eine Art Geländer mit Stoff drüber. Das gesamte Gemälde hat so eine Ästhetik wie diese Heiligen-Bildchen, die man manchmal in Souvenir-Shops in Italien sieht. Was ich damit eigentlich sagen will: Ich finde das Bild, ehrlich gesagt, ein bisschen kitschig. Wahrscheinlich entsteht dieser Eindruck, weil es so glatt poliert daher kommt. Die Szene wirkt irgendwie entrückt, als würde sie in anderen Sphären stattfinden. Gleichzeitig ist das hier eine sehr einprägsame und prägnante Malweise, die einem sofort ins Auge springt. Und jetzt schauen wir uns mal das größere Ganze an. Zu welcher Kunstströmung gehört dieses ungewöhnliche Bild?

Der Epochen-Check

Marie Ellenrieder, die Malerin, um die es heute geht, gehört zu der Kunstströmung der Nazarener. Diese Bewegung wird 1809 in Wien gegründet und zwar von Kunststudierenden. Die nannten sich Lukasbund nach dem Evangelisten Lukas, der ein Maler gewesen sein soll, Warum gründen Kunststudierende eine eigene Kunstbewegung? Zu der Zeit, also Anfang des 19. Jahrhunderts, orientierten sich Kunstakademien viel am Neoklassizismus. Der Neoklassizismus hat die Antike abgefeiert. Die Studierenden mussten daher antike Skulpturen zeichnen und so weiter. Davon wollten die Nazarener sich abgrenzen. Sie wollten die Malerei erneuern im Sinne des Christentums, Es war Fortschritt durch Rückbesinnung. Die Nazarener sind quasi die CDU unter den Kunstströmungen. Das passt nicht nur, weil sie recht konservativ waren und traditionelle Werte vertraten, sondern auch weil die Nazarener eben sehr christlich-katholisch waren. Das kann man ja an dem Gemälde aus der Kunsthalle Karlsruhe schön sehen. Man wollte christliche Werte vermitteln mit gefühlvoller Kunst. Auch das veranschaulicht das Bild „Drei Jungfrauen“ ziemlich gut. Ruhe, Feierlichkeit und ernste Gesichter kennzeichnen die Kunst der Nazarener. All das finden wir bei Ellenrieder.

Allein der Name Nazarener hat einen religiösen Bezug: So nannte man nämlich die Anhänger von Jesus nach seinem Tod am Kreuz – also die ersten Fans. Dieser Name wurde aber erst später geprägt, die Nazarener nannten sich selbst nicht so. Allerdings liefen einige Nazarener mit langen Haaren und Bärten rum wie Jesus. Viele wichtige Kunstschaffende der nazarenischen Kunst wanderten nach Rom aus, 1822 reist auch Marie Ellenrieder nach Rom und wird stark von den Nazarenern beeinflusst. 1838 reist sie erneut nach Italien. Okay, viele Italienbezug, aber warum genau hat Ellenrieder dieses Bild jetzt eigentlich gemalt?

Worum geht’s hier eigentlich? Die Message

Die Nazaner malten häufig Menschenpaare, die sich unterhalten – also genau wie auf dem Bild dieser Folge. Diese waren gedacht als sogenannte „Reflexionsfiguren“. Die Betrachtenden sollten ihre eigene Rolle und ihren Glauben reflektieren. Auf dem Bild von Marie Ellenrieder unterhalten sich drei Frauen. Sie sprechen über ihren Glauben. Sie sprechen von Gott und seinen heiligen Geboten. Genau dazu sollte einen das Gemälde animieren: Sich vor dem Gemälde über den Glauben austauschen und bei der Betrachtung der Kunst eine religiöse Erfahrung machen. Wir haben ja am Anfang dieser Folge das starke Zitat von Marie Ellenrieder gehört über ihre Hingabe zur Kunst. Und über genau die wird es jetzt noch gehen, denn wir schauen uns nun ihre Biografie an.

Wer hat‘s gemacht? Künstlerin im Spotlight

Marie Ellenrieder wurde 1791 in Konstanz geboren und starb auch dort im Jahr 1863. Ja, man spricht das wirklich Konschtanz aus – ich bin oft dort aufgetreten und die mögen das gar nicht, wenn man Konstanz sagt. Als geborener Hannoveraner habe ich dafür null Verständnis, aber ok.

Marie Ellenrieder war die erste Studentin mit offizieller Immatrikulationsnummer an der Münchner Kunstakademie. Und das im Jahr 1813. Die meisten deutschen Unis öffnen sich erst ab dem frühen 20. Jahrhundert für Frauen – manche früher, manche später. Ellenrieder blieb ihr Leben lang unverheiratet, sie wollte sich ganz der Kunst widmen. Man kann also durch aus sagen: Ein Leben für die Kunst.

Schnell erarbeitet sich Ellenrieder einen Ruf mit ihrer Porträtmalerei. Sie malt das who is who des süddeutschen Adels. Nach ihrer ersten Italienreise und dem Kontakt mit den Nazarenern widmet sie sich intensiv der religiösen Kunst. Die Nazarener waren für sie ein zentraler Einfluss, aber trotzdem fühlte sie sich von den dortigen Malern als Künstlerin nicht ernst genommen. In der Folge malt Ellenrieder viele Altarbilder. 1929 wird sie dann Hofmalerin in Karlsruhe. Hier muss sie jährlich sogenannte Pflichtstücke abgeben. Das ist quasi die künstlerische Form von Vokabeltests. Diese Pflichtstücke waren dann sogar Teil von Gehaltsverhandlungen, wenn sie mehr Geld haben wollte – kein Spaß. So ein richtiger Leistungsnachweis. Das Bild dieser Folge ist ein solches Pflichtstück. Man muss echt sagen „Pflichtstück“ klingt so gar nicht nach Spaß. Kein Wunder, dass sie den Großherzog irgendwann bittet, keine Pflichtstücke mehr abgeben zu müssen. Allerdings hatte der Status als Hofmalerin natürlich auch erhebliche Vorteile – zum Beispiel ein festes Gehalt. Gerade in der Kunst ist so was ja echt eine Bank.

Ellenrieder war außerdem knallhart, wenn es um Geld ging. Sie verhandelte ihre Honorare selbstbewusst und war eine ambitionierte Geschäftsfrau. Wenn jemand mit der Zahlung spät dran war, gab’s direkt eine Mahnung. Auch im Freundeskreis. Da kannte sie kein Pardon.

1848/49 kommt es dann zur Deutschen Revolution. Es ging um Unabhängigkeit von den herrschenden Häusern und Demokratiebestrebungen. Für Ellenrieder bedeutet das erst mal, dass katholische Kunst wie ihre weniger gefragt ist. Der Adel und die Kirche werden ihre Hauptauftraggeber. Sie will von den ganzen gesellschaftlichen Umwälzungen nichts wissen und kämpft lieber weiter für die Kirche.

Nach den Revolutionsjahren erhält die Industrialisierung in Deutschland Einzug. Ein Teil der Bevölkerung fremdelt mit dieser Entwicklung und wendet sich frommer Andachtskunst – das entspricht auch der Haltung von Ellenrieder. 1862 stirbt die Künstlerin dann. Sie hinterlässt ein Schaffen, das noch mal ganz anders ist als die Kunst, die man sonst so aus dem 19. Jahrhundert gewohnt ist. Und genau dafür sind wir ja bei Kunstsnack da: Neue Perspektiven auf die Kunst eröffnen! Und damit geht in zwei Wochen weiter, denn dann erscheint die neue Folge von Kunstsnack. Bis dahin, macht’s gut. Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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