Meisterwerk aus Maschendraht: Katharsis von Jakob Broder | #68

Shownotes

Das Kunstwerk dieser Folge besteht aus über 40 Objekten und erinnert an ein Schaufenster. Aus Maschendraht, Sackleinen, Kleister und Gips schuf der Künstler Jakob Broder eine Installation, die Teil der Kunsthallen-Sammlung ist. In dieser Folge des Kunstsnack erklärt Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger, was es mit dem Titel "Katharsis" auf sich hat und wieso es manchmal hilfreich sein kann, sich im Museum auf den Boden zu legen.

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Jakob-Broder/Katharsis/53C8D1DFED924A7DB7EF73F0ABC5AC10/

Podcast-Empfehlung: "FRANKENTHALER" ist ein Podcast des Museum Reinhard Ernst und Studio Jot: https://www.museum-re.de/de/kunst/mediathek/podcast-folge-1-helen-frankenthaler-move-and-make/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH

Transkript anzeigen

Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Meisterwerk aus Maschendraht: Katharsis von Jakob Broder

Ich erinnere mich noch gut, wie ich im ersten Semester in einer Psychologie-Vorlesung saß, ich hatte das nur im Nebenfach und der Prof. meinte: „Kann mir jemand erklären, was Katharsis ist?“ 200 Leute und nur eine Hand ging hoch. Wow, war ich erleichtert, dass ich mit meinem Unwissen nicht alleine war. Das Kunstwerk der heutigen Folge heißt nämlich „Katharsis“, deshalb möchte ich den Begriff direkt klären. So definiert der Duden das Wort Katharsis: „das Sichbefreien von psychischen Konflikten und inneren Spannungen durch emotionales Abreagieren“. Also anders gesagt: alles raus lassen.

Hier ein Beispiel: Ich habe mal zusammen mit zwei Freunden als Jugendlicher die perfekte Katharsis erfunden und zwar Brülljazz. Diese Musikrichtung hatte nur zwei Regeln:

1. Alle müssen das Instrument spielen, das sie am wenigsten beherrschen.

2. Man muss dabei aus voller Kehle schreien, bis man nicht mehr kann.

Wir haben das im Kinderzimmer von meinem Kumpel gemacht und sein Vater hat nebenan Matheklausuren korrigiert. Das war völlig absurd und extrem laut. Nach fünf Minuten Brülljazz ist man komplett am Ende, das ist echt eine archaische Erfahrung, aber man fühlt sich danach richtig befreit. Das war für mich pure Katharsis… und komplett bescheuert.

Aber der Begriff „Katharsis“ hat noch eine zweite Bedeutung und die kommt aus der Literaturwissenschaft. Im Duden heißt es dazu: „Läuterung der Seele von Leidenschaften als Wirkung des [antiken] Trauerspiels.“ Also im Prinzip: mitleiden bei einer Tragödie und dadurch seelische Reinigung. Ok, also das Kunstwerk dieser Folge heißt „Katharsis“ - das wäre nun geklärt. Das Werk entstand in den Jahren 1975 bis 1980, es stammt von dem Künstler Jakob Broder oder wie ich sage: Broder Jakob. Viel Spaß!

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Die Arbeit der heutigen Folge ist ein absoluter Alptraum für eine Werkbeschreibung. Ich bitte euch deshalb inständig: Schaut euch das am besten selbst an. In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung. Aber natürlich beschreibe ich es jetzt trotzdem, ist ja mein Job.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Es handelt sich bei „Katharsis“ von Jakob Broder um eine Installation, also eine künstlerische Arbeit aus verschiedenen Gegenständen. In diesem Fall sind es über 40 Objekte. Ich werde die euch jetzt nicht im Einzelnen beschreiben, sondern nur den Gesamteindruck. Also, das gesamte Kunstwerk erinnert ein bisschen an ein Schaufenster, nur ohne Fenster. All die Objekte lehnen oder hängen nämlich an einer Wand im Museum. Sie werden uns also richtig schön präsentiert. Auf den ersten Blick denkt man: „Hä, was machen denn diese ethnologischen Ausstellungsstücke in einem Kunstmuseum? All diese Masken, Werkzeuge und Waffen.“ Und dann guckt man näher hin und checkt: Das sind gar keine Masken, Werkzeuge oder Waffen. Die Objekte erinnern nur daran, sie haben eine ähnliche Form, aber man kann die gar nicht benutzen. Man kann damit nicht kochen oder jagen. Es sind imaginäre Formen, die zum Assoziieren und Fantasieren einladen.

Die Teile der Installation haben einen einheitlichen Look, die sind nämlich alle ein bisschen abgerockt. Alle Objekte haben eine beige-bräunliche Farbe, denn sie bestehen größtenteils aus Sackleinen. Im Inneren der Objekte ist Maschendraht, der als eine Art Gerüst dient. Hier und da scheint der heraus, genauso wie Kleisterpapier und Gips, die auch mit verarbeitet wurden. Ich finde die Installation von Jakob Broder sieht aus, als hätte man verschiedene Objekte als Geschenk verpackt. Durch diese Art Hülle ist nicht ganz klar, was da eigentlich drin ist. Ein bisschen wie der Effekt früher an Weihnachten: Da hat man ja auch immer versucht anhand der Verpackung zu erahnen, was wohl in den Geschenken ist. Und richtig oft lag man daneben. Dieses Kunstwerk umgibt also durchaus etwas Geheimnisvolles. Genau das macht gute Kunst ja aus.

Wer hätte das gedacht? Faszinierender Funfact

Ursprünglich hatte Jakob Broder „Katharsis“ gar nicht als Installation gedacht. Eigentlich handelte es sich um eigenständige Einzelobjekte. Erst in Zusammenarbeit mit seinem Galeristen wurde daraus dieses Ensemble, diese Rauminstallation. Wie sagt man so schön:

Wie gut, wenn der Galerist

Der Support des Künstlers ist.

Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante Inspirationen

Ich hatte euch ja grad beschrieben meine erste Assoziation bei dem Kunstwerk beschrieben: Ich finde, das sieht aus wie Objekte in einem ethnologischen Museum z. B. Kanus, Werkzeuge oder Kulturgegenstände. Und das ist kein Zufall, denn genau diesen Effekt wollte der Künstler Jakob Broder erzielen. Für ihn waren nämlich genau solche ethnologischen Sammlungen die zentrale Inspiration. Es ging ihm aber nicht nur um die Objekte, sondern auch um deren Anordnung und die Zwischenräume. Also die Frage: Was passierten denn zwischen diesen Objekten in ethnologischen Museen?

1974/75 war Jakob Broder in Paris in vielen naturkundlichen und ethnologischen Sammlungen unterwegs. Er zeichnete dort viele Ausstellungsstücke. Diese Zeichnungen flossen dann in „Katharsis“ ein. Zur Erinnerung, das Kunstwerk entstand 1975 bis 1980. Also, die Zeichnungen machte Broder in Paris, die Objekte fertigte er aber in seinem Atelier in Karlsruhe an. Da wird mal wieder deutlich: Karlsruhe macht kreativ. Generell hat Jakob Broder einen engen Bezug zu Karlsruhe. Jakob Broder wurde 1943 in Karavukovo (ehemaliges Jugoslawien) geboren, wuchs in Bayern auf und studierte später an der Kunstakademie Karlsruhe. Bis heute lebt er in Karlsruhe.

Ok, zurück zum Werk: Jakob Broder verfremdet die Objekte aus ethnologischen Museen und dann ordnet er viele davon zusammen an. Damit reflektiert er auch enthnologische Museen an sich. Er reflektiert, wie wir diese Sachen präsentieren. Denn die ganzen Objekte in einem ethnologoischen Museum waren ja nie für ein Museum gedacht. Die werden aus ihrem Kontext gerissen und bei uns in weißen Räumen super clean ausgestellt. Objekte für religiöse Zwecke liegen plötzlich in einer Vitrine, Kochutensilien stehen dort auf einem Sockel. Das war ja nie so gewollt. Hier kommen Dinge zusammen, die eigentlich gar nicht zusammengehören. Und genau das macht Jakob Broder auch mit seinem Werk „Katharsis“. Da hängen maskenartige Objekte neben Dingen, die wie riesige Löffel oder Speere aussehen.

Das gilt übrigens nicht nur für ethnologische Museen, dass Werke nicht so präsentiert werden, wie sie eigentlich gedacht waren. Viele mittelalterliche Skulpturen werden in Kunstmuseen auf normale Sockel gepackt. Aber ursprünglich wurden die Skulpturen im Mittelalter meistens Kirchen konzipiert, die standen oft weit oben. Man sollte die von unten sehen. So wurden die auch extra gearbeitet. Deshalb mussten wir uns im Studium in einem Mittelalter-Seminar immer im Museum auf den Boden legen, um die Skulpturen aus der ursprünglichen Perspektive zu sehen. Das muss von außen so albern ausgesehen haben. Aber eigentlich war es ganz sinnvoll. So hab ich mir das auf jeden Fall gemerkt.

Jakob Broder präsentiert seine Installation nicht nur wie in einem Museum, sondern das Ganze erinnert auch an eine Bühne. Als würden die Akteure sich anordnen wie auf einem Klassenfoto. Hier ist also durchaus ein Bezug zum Theater und damit zur Tragödie. Das könnte den Titel „Katharsis“ ein bisschen erklären. Kurzer Reminder: Die eine Definition von Katharsis war ja, dass das Mitleiden bei einer Tragödie die Seele reinigen würde. Naja … auf jeden Fall kommt das Werk deutlich leiser daher… als Brülljazz. Und damit sind wir am Ende dieser Folge. In zwei Wochen kommt wie immer die nächste Episode von Kunstsnack. Bis dann, macht’s gut, Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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