Der schiefe Turm von Paris: Der Eiffel-Turm von Robert Delaunay | #67

Shownotes

Beim Anblick dieser Architektur ist Schwindel vorprogrammiert: Im Gemälde "Der Eiffel-Turm" von Robert Delaunay winden, drehen und kippen die Bauteile des Pariser Wahrzeichens schief und krumm ineinander. Weshalb hinter diesem Bild technischer Fortschritt steht und warum Robert Delaunay den Eiffel-Turm mit einer Obstschale vergleicht, erklärt Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge des Kunstsnack.

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Robert-Delaunay/Der-Eiffel-Turm/368C36DB48FAC5A29447A883E00FA597/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH

Transkript anzeigen

Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Der schiefe Turm von Paris: Der Eiffel-Turm von Robert Delaunay

Es klingt völlig unglaublich aber 1925 verkaufte ein Betrüger den Eiffelturm. Kein Witz! Im Jahr 1909 gab es Pläne den Eiffelturm abzureißen, bei vielen Menschen war der damals gar nicht so beliebt. Und hier kam der Betrüger Victor Lustig ins Spiel. Jap, passender Name – Victor Lustig... könnte auch der Vater von Peter Lustig sein. Naja, tatsächlich fand Victor Lustig einen Schrotthändler, dem er 1925 erzählte: „Der Eiffelturm wird bald abgerissen, willst du den Schrott kaufen?“ Victor Lustig gab sich als zuständiger Beamter aus und tatsächlich kam der Kaufvertrag zustande, kurz danach floh Victor Lustig. Er versuchte es dann sogar noch ein zweites Mal den Eiffelturm zu verkaufen, was scheiterte.

Diese absurde Geschichte passt gut zu dem Bild der heutigen Folge aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: Denn auf dem Gemälde von Robert Delaunay ist der Eiffel-Turm und der sieht wirklich so aus, als wäre man gerade dabei den abzureißen. Alles ist krumm und schief, es sieht aus wie der schiefe Turm von… Paris. Wie kann das sein? Das Bild heißt „Eiffel-Turm“ und entstand in den Jahren 1909-1910/11. Und ich weiß, der Eiffelturm ist eines der bekanntesten Bauwerke der Welt, man hat den eigentlich satt. Aber glaubt mir, SO wie auf diesem Gemälde habt ihr den Eiffelturm noch nie gesehen. Und damit starten wir rein in diese Folge. Viel Spaß!

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Schaut euch das Bild dieser Folge gerne an. In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Kennt ihr den Film Inception? Da gibt es am Anfang eine Szene, in der sich die Stadt plötzlich auseinanderfaltet. Alles kippt und gerät durcheinander. Ein bisschen so ist es auf Robert Delaunays Bild. Wir sehen den Eiffelturm mit Häusern drum herum und einem wolkigen Himmel. Die Häuser sind krumm und schief, aber das ist noch harmlos im Vergleich zum Eiffelturm. Der sieht aus, als hätte man den besoffen zusammengebaut. Alle Teile sind ineinander verdreht. Der echte Eiffelturm hat eine geschwungene, dynamische Form, die sich nach oben verjüngt. Der Eiffelturm von Delaunay hingegen ähnelt einem Bausatz, zu dem man die Anleitung verloren hat und dann hat man den halt irgendwie zusammengesteckt. Und trotzdem, das finde ich so faszinierend, erkennt man den Eiffelturm sofort, weil der ist einfach so ikonisch. Das ganze Bild ist in eher gedeckten Farben gehalten: braun, beige, grau, dunkelgrün. Man sieht die breiten Pinselstriche. Ach ja, und die Wolken am Himmel – sie sind wahnsinnig dicht und gerundet. Die ähneln fast einem Atompilz. Ihr merkt, ein intensives Bild! Das hier ist eine äußerst ungewöhnliche Stadtansicht von Paris. Aber warum mal Robert Delaunay so ein schräges Bild? Das beantworte ich euch jetzt.

Der Epochen-Check

Die Kunst von Delaunay war so eigen, dass sie sogar einen eigenen Stilbegriff geprägt hat. Man nannte das: Orphischer Kubismus. Ich weiß, das hilft euch jetzt erst mal nicht viel weiter. Orphischer Kubismus… aber eins nach dem anderen. Klären wir erst mal in Ruhe den Begriff Kubismus: Der Kubismus entstand um das Jahr 1906 in Frankreich. Kurz zur Erinnerung das Bild dieser Folge ist entstanden 1909 – 1910/11. Also nicht lange nach dem Beginn des Kubismus. Ein Hauptanliegen dieser Kunstströmung war: Man wollte mehrere Perspektiven gleichzeitig malen. So als könnte man zum Beispiel ein Gesicht von vorne sehen und gleichzeitig von der Seite und von oben. Robert Delaunay macht genau das mit dem Eiffelturm: Er malt das Gebäude aus gefühlt 10 unterschiedlichen Blickwinkeln gleichzeitig. Deshalb wirkt alles so verdreht und fragmentiert.

Typisch kubistisch ist auch, dass viel Braun und Grau benutzt wird. Im Kubismus verwendete man bewusst langweilige Farben, der Kubismus hat mehr Brauntöne zu bieten als jedes Klärwerk. Durch die reduzierten Farben wird das Formenspiel betont, nichts lenkt ab. Im Kubismus wurden Motive in geometrische Einzelteile zerlegt und dann neu angeordnet und ineinander verschränkt. Der Kubismus ist gewissermaßen das Schiebepuzzle der Kunst. Das Ergebnis sind Bilder mit vielen eckigen Formen und eben… nicht so aufregenden Farben.

Der Kubismus wurde begründet von den Malern Pablo Picasso und George Braque. Die beiden waren auch eine sehr wichtige Inspiration für Delaunay. Der Kubismus hatte Anfang des 20. Jahrhunderts unglaublichen Einfluss auf die Kunst, gefühlt hatten alle Kunstschaffenden zu der Zeit eine kubistische Phase. Das war wie die Pubertät: Willst du dich entwickeln, musst du da durch. Wichtig für den Kubismus war zum Beispiel die Relativitätstheorie. 1905 wurde die veröffentlicht, also kurz vor dem Kubismus. Plötzlich wurde Zeit und Raum von Einstein hinterfragt. Kein Wunder, dass Kunstschaffende kurz danach auch das Thema Raum und Perspektive in ihren Bildern hinterfragen und neu denken.

Picasso und Braque zerlegten in ihren Bildern viele Gegenstände, besonders beliebt waren Geigen, Gitarren und Obstschalen. Passend dazu sagte Delaunay: „Der Eiffelturm ist meine Obstschale.“ Delaunays Eiffelturm-Bild ist Teil seiner selbst ernannten „destruktiven Periode“. Damit ist gemeint: Das Motiv wird aufgesplittert und danach neu zusammen gesetzt. Wie ein Lego-Set an die Wand schmeissen und dann was Neues draus machen. Diese kubistische Denke war super wichtig für Delaunays gesamtes Schaffen. Die Welt nicht mehr zu malen, wie wir sie sehen, sondern wie man will. Sich mit der Malerei selbst beschäftigen, die Motive analysieren und anders malen. Das alles führte dazu, dass Delaunay später komplett abstrakt malte. Und auf diesem Weg prägte er dann eine eigene Spielart des Kubismus: Den Orphischen Kubismus.

Ok, aber was ist denn der Unterschied zum klassischen Kubismus? Der Orphische Kubismus ist vor allem farbenfroher. Die Bilder sind richtig bunt und haben nicht so gedeckte Farben wie bei Picasso oder Braque zu der Zeit. Der Orphische Kubismus arbeitet viel mit Farbkontrasten, man wollte, dass die Farben miteinander in Beziehung treten und eine Art Rhythmus bilden. Außerdem sind die Formen beim Orphischen Kubismus oft runder, die Bilder kommen weniger analytisch, sondern poetischer daher.

Man könnte also sagen: Der Eiffelturm in der Kunsthalle Karlsruhe ist stark vom Kubismus beeinflusst. Aber bald schon wird Robert Delaunuay seinen ganz eigenen Weg gehen mit dem Orphischen Kubismus.

Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante Inspirationen

Eine ganz wichtige Inspiration für Delaunay war, ihr könnt’s euch denken: der Eiffelturm. Er malte eine ganze Serie von Eiffelturm-Bildern – insgesamt etwa 30. Delaunay war einer der Gründe dafür, dass der Eiffelturm in der modernen Kunst ankam und Thema wurde. Ich habe ja vorhin gesagt: Obwohl das Motiv auf Delaunays Bild so verdreht und komisch ist, erkennt man den Eiffelturm sofort, weil er so ikonisch ist. Naja, und Delaunay hat mit seiner Kunst eben auch dazu beigetragen, dass er zu so einer Ikone wurde.

Kurz um Eiffelturm selbst: 1889 wurde der für die Weltausstellung in Paris erbaut und war 312 Meter noch. Damit war er über 40 Jahre lang das höchste Gebäude der Welt. Rasch wurde der Eiffelturm zu einem Symbol für Modernität und technischen Fortschritt. Naja, und genau das – Modernität und Fortschritt – das waren ja Delaunays Ziele in der Kunst. Passte also gut.

Eine andere wichtige Inspiration für Delaunay war die Luftfahrt. 1909 sah er in einer Ausstellung Luftaufnahmen vom Eiffelturm. Das war keine Selbstverständlichkeit wie heute, wo es Drohnen sogar bei Kaufland gibt. Die Luftaufnahmen wurden damals mit einem Heißluftballon gemacht und haben Delaunay tief beeindruckt. Dieser Perspektivwechsel, dieser neuartige Blick, das passte natürlich super zu seinen künstlerischen Vorhaben. Und so inspirierten ihn die Luftaufnahmen zu seinen Eiffelturm-Bildern. Das Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe begann Delaunay ja auch passenderweise 1909, also in dem Jahr, in dem er die Luftaufnahmen sah.

Also, ich fasse zusammen: Anfangs stieß der Eiffelturm auf viel Kritik und Gegenwind, mittlerweile ist er aus Paris nicht mehr wegzudenken. Ähnlich hat sich Delaunay durchgesetzt mit ungewöhnlichen Bildern und ist heute fester Bestandteil der Kunstgeschichte. Bäm! Das war’s mit dieser Folge, in zwei Wochen sind wir wieder zurück mit Kunstsnack. Danke fürs Zuhören, lasst gern ein kostenloses Abo da, Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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