Zersägtes Meisterwerk: Christus am Kreuz und Kreuztragung Christi von Matthias Grünewald | #66
Shownotes
Der bedeutende Renaissance-Maler Matthias Grünwald wollte die Betrachter*innen mit diesem Werk so richtig erschüttern - denn sie sollten das Leiden Christi eindrücklich nachempfinden. Mit dieser geschickten Inszenierung war Grünwald seiner Zeit voraus. Warum das zweiteilige Werk zersägt wurde und was Jesus mit Kermit dem Frosch zu tun hat, erklärt Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge des Kunstsnack.
Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Matthias-Gr%C3%BCnewald/Kreuztragung-Christi/B5671BFA442BBD3147C3118CEF1AB0BD/
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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH
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Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Zersägtes Meisterwerk: Matthias Grünewald, Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes & Kreuztragung Christi
Ich war vor Kurzem mit meinem kleinen Neffen in Hamburg im Museum. Wir sind durch die Alten Meister gegangen. Alles beeindruckende Bilder in riesigen Goldrahmen, andächtige Atmosphäre... und plötzlich meinte mein kleiner Neffe: „Jakob, warum hat Jesus eigentlich nie Spaß?“ Und ich dachte direkt: „Wow, stimmt.“ Jesus wird in der Kunst eigentlich immer leidend dargestellt. Der hat mega viele Wunder vollbracht. Aber es gibt kaum ein Bild, auf dem Jesus mal lässig über's Wasser schlendert oder so. Stattdessen hängt der fast immer am Kreuz rum.
Der Comedian Trevor Noah hat das sogar mal in einem Witz aufgegriffen und meinte, dass Jesus wahrscheinlich stinksauer wäre, wenn er zurück auf die Erde käme. Nix mit heldenhaften Bildern, überall sieht man ihn nur in seinem erbärmlichsten und traurigsten Moment. In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe würde sich Jesus besonders ärgern, denn da gibt’s zwei Bilder von Matthias Grünewald. Die Titel sind „Kreuztragung Christi“ und „Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes“ und wow sieht Jesus da fertig aus. Aber genau das ist so faszinierend: Selten wird das Leiden von Christus so eindrücklich, so gnadenlos dargestellt. Die Bilder stammen aus den Jahren 1523/1524 und sind für mich eine der besten Jesus-Darstellungen überhaupt. Die sind so krass, das sogar Jesus davon beeindruckt wäre. Außerdem gibt es von Grünewald nur sehr wenige überlieferte Werke, also ist das hier eine echte Rarität! Dann gucken wir uns das Ganze doch mal näher an. Los geht’s.
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
Da es heute um gleich zwei Bilder geht, empfehle ich euch: Schaut euch die Werke dieser Folge mal kurz an. In den Shownotes ist ein Link zu den Abbildungen.
Kurioses aus der Kunstwelt
Normalerweise widmen wir uns bei Kunstsnack ja immer einem Werk pro Folge. Also warum sind es dieses Mal zwei Bilder? Weil das ursprünglich ein zweiseitiges Bild war, also Vorder- und Rückseite. Und zwar waren die Teil eines Altars. Also im Prinzip wie eine beidseitig bemalte Tür.
Ende des 19. Jahrhunderts kaufte dann ein Privatsammler das Werk und sägte die beiden Tafeln auseinander. Ja, ihr habt richtig gehört. Da hat jemand ein Bild von einem der wichtigsten deutschen Künstler, also Grünewald, einfach auseinander gesägt, als wäre das ein bekritzeltes Brett. Warum zur Hölle macht man so was? Aus heutiger Sicht ist das völlig absurd, aber damals war es gar nicht so unüblich, dass man sich Bilder passend zurechtgeschnitten hat. Es gibt zum Beispiel ein weiteres Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe, bei dem das passiert ist: Ein Selbstbildnis von Rembrandt. Vom Rembrandt! Das war ursprünglich rechteckig und danach oval, weil man die Ecken abgeschnitten hat – als wäre das Geschenkpapier, das man easy zurechtschneidet. Wahnsinn. Stellt euch mal vor, ich würde an einem Rembrandt rumschnippeln. Da ist ja jeder Schnipsel ein paar hunderttausend Euro wert. Das Selbstporträt von Rembrandt war übrigens Thema in unserer allerersten Folge von Kunstsnack. Also, ein legendäres Stück Podcast-Geschichte.
Naja, zurück zu Grünewald: Da wurde also auf sehr radikale Weise aus eins zwei gemacht. Zum Glück wurde dann nicht noch weiter an den Bildern herumgesägt. 1900 wurde das Werk von der Kunsthalle Karlsruhe erworben und war damit safe. Aber dieser Ankauf war ein bisschen wie bei diesen Bonbons „Nimm2“. Ok, aber jetzt beschreibe ich euch diese zwei Tafeln mal, damit ihr eine Vorstellung davon bekommt.
Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung
Wir beginnen mit dem Bild „Die Kreuztragung Christi“:
Dem Titel entsprechend schleppt Jesus das Kreuz. Es drückt ihn zu Boden, er kriecht nur noch vorwärts. Auf seinem Kopf ist eine Dornenkrone, die ist so groß, das ist fast schon ein Dornenturban. Auffällig ist Jesus grüne Hautfarbe. Das geht schon in Richtung Kermit der Frosch. Vor allem aber lässt das Grüne Jesus sehr fahl und leidend erscheinen. Hier wird nichts beschönigt. Um Christus herum sind seine Peiniger, sie verprügeln ihn und machen sich über ihn lustig. Wenn man für einen Film ein paar Bösewichte casten müsste, die würden genauso aussehen: Fiese Fressen und gemeine Grimassen. Sogar das eine Pferd links im Bild guckt richtig aggro.
Auf einem Gebäude im Hintergrund steht ein Vers aus dem Buch des Propheten Jesaja – und das ist ein bisschen alte Sprache: „Er ist umb unser sund willen gesc(h)lagen.“ Also, er wurde dank unserer Sünden geschlagen. Jesus Blick geht nach oben – es ist der sogenannte „himmelnde Blick“. Nach dem Motto: „Ok, Gottvater, ich bin einverstanden, das hier ist demütigend und schmerzhaft, aber es ist Teil des Heilsplans.“ Dieser Blick Richtung Himmel wurde dann vor allem im 17. Jahrhundert sehr beliebt, zur Erinnerung dieses Bild ist aus den Jahren 1523/1524.
Kommen wir zur zweiten Tafel aus Karlsruhe „Kreuzigung Christi mit Maria und Johannes“, die zeigt also die Szene nach der Kreuztragung. Hier hängt Jesus nun am Kreuz und zwar wie. Seine Füße und Hände sind schmerzhaft verkrampft und verdreht. Seine Haut ist übersät mit Wunden und blauen Flecken. Sein Gesicht ist irgendwo zwischen schmerzverzerrt und erschöpft. Hier sieht man: Da wurde jemand richtig misshandelt und brutal ermordet. So eine explizite Darstellung war nicht der Standard. Oft wurde Jesus elegant und anmutig am Kreuz gemalt. Dagegen ist Grünewalds Bild nun ziemlich drastisch. Neben dem Kreuz steht links Maria und rechts Johannes – beide trauern. Ihre normale Hautfarbe lässt die grüne Hautfarbe von Jesus noch mal deutlicher hervortreten.
Grünewald inszeniert dieses Bild sehr geschickt. Erst auf den zweiten Blick checkt man: Jesus ist übertrieben groß im Vergleich zu Maria und Johannes. Er sieht zwischen den beiden aus wie ein Basketballer. Das lässt ihn natürlich noch monumentaler wirken, der Fokus liegt noch mehr auf Christus. Außerdem ist die Landschaft im Hintergrund karg und der Himmel tiefschwarz. Auch das ist ein malerischer Trick, um Jesus noch mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Es wird klar: Hier versteht jemand sein Handwerk.
Der Epochen-Check
Matthias Grünewald ist ein Maler an der Schwelle vom Spätmittelalter zur Renaissance. Grünewald wird um 1470, 1475 oder um 1480 geboren, möglicherweise in Würzburg, 1528 stirbt er dann in Halle an der Saale. Kurz zur Renaissance: Das war eine Kunstströmung des 15./16. Jahrhunderts. In dieser Zeit hat man den Menschen ganz genau studiert und ging sehr wissenschaftlich vor. Im Prinzip war die Renaissance richtige Streberkunst, man wollte es ganz genau wissen. Dazu passt Grünewald ja gut, auch er stellt das Leiden Jesu recht realitätsnah dar. Grünewald war Künstler, Baumeister und Wasserbauingenieur – klingt erst mal ungewöhnlich, aber auch der Renaissancekünstler Leonardo da Vinci war sehr an Wasserbau interessiert und verfasste eine ganze Abhandlung über Wasser. Die Renaissance war eh eine Zeit der Multitalente und Universalgenies. Wenn ihr mehr zu dieser Zeit wissen wollt, dann empfehle ich euch die Folgen 10, 30, 40, 57 und 60.
Wer hätte das gedacht? Faszinierender Funfact
Über Grünewalds Leben ist wenig bekannt, aber was man weiß ist: Er arbeitete eine Zeitlang als Seifensieder. Wie der Name schon sagt, geht’s um die Herstellung von Seife. Auf jeden Fall eine saubere Sache! Ganz so clean ist Grünewalds Malweise dann allerdings nicht, bei ihm geht’s immer ordentlich zur Sache.
Worum geht’s hier eigentlich? Die Message
Ok, warum hat Matthias Grünewald das Leiden von Jesus eigentlich so heftig gemalt? Es ging darum die Gläubigen zu erschüttern. Das krasse Leid sollte nah an sie herangeholt werden. Die Gläubigen sollten richtig mitleiden und so in Jesus Fußstapfen treten. Nach dem Motto: Sei wie Jesus, finde das Heilsversprechen. Und es ging darum zu zeigen: Guckt mal, Jesus leidet für euch, für eure Sünden. Seid tugendhaft, baut keine Scheisse.
Grünewalds berühmtestes Werk ist der Isenheimer Altar. Vielleicht habt ihr mal davon gehört. Wenn nicht, egal, dann hört ihr es jetzt. Da wird auch eine Kreuzigung dargestellt und Jesus leidet da sogar noch mehr als auf den beiden Bildern aus Karlsruhe. Das Bild zeigt Jesus komplett am Ende, grüne Haut, gematert, durchgefoltert. Als Kind hätte ich von diesem Bild Alpträume bekommen. Diese Intensität macht Grünewald so besonders und man kann das eben auch an den beiden Tafeln in der Kunsthalle Karlsruhe spüren. Das ist knallharte Kunst, Bilder, die unter die Haut gehen. Kunst kann aber auch ins Ohr gehen, nämlich mit Kunstsnack. Wir sind am Ende dieser Folge angelangt, ich hoffe ihr hattet Spaß, in zwei Wochen kommt schon die nächste. Danke für eure Aufmerksamkeit, macht’s gut. Ciao.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.
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