Batman und der Edel-Esel: Caprichos von Francisco de Goya | #62

Shownotes

Zwischen Fiebertraum und Horrorfilm: Francisco de Goyas Grafikserie „Caprichos“ zeigt Darstellungen von Hexen, Monstern, Verzweifelten und Ausgestoßenen. Das Blatt Nr. 43 aus der Kunsthalle entführt die Betrachtenden in surreale Traumwelten. Warum Goya dabei nicht mit Gesellschaftskritik sparte und was Batman und ein Esel damit zu tun haben, erzählt Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge des Kunstsnack.

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Francisco-de-Goya/Caprichos-Bl/43ED24E34B814888898B0AFA3F567627/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH

Transkript anzeigen

Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Batman und der Edel-Esel: Francisco de Goya, Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer (Caprichos, Bl. 43)

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr in einem langweiligen Meeting sitzt und euch überkommt eine kaum bezwingbare Müdigkeit. Die kommt so den Nacken hochgekrochen. Und plötzlich bildet man sich Dinge ein, die gerade gar nicht passiert sein können. Ich hatte mal genau so ein Meeting. Da habe ich noch im Museum in Frankfurt gearbeitet und war übertrieben müde. Ich musste mich eine Stunde lang konstant in den Arm kneifen, um nicht einzuschlafen. Ich konnte kaum noch zwischen Realität und Traum unterscheiden. Aber irgendwie hab ich meine Müdigkeit gut versteckt. Nach dem Meeting habe ich sicherheitshalber meine Kollegin gefragt: „Man hat nicht gemerkt, dass ich fast eingeschlafen bin, oder?“ Und sie meinte nur: „Jakob, ALLE haben’s gecheckt. Du ständig weggesackt.“

Und genau dieses Gefühl fängt für mich das Werk der heutigen Folge ein. Dieses Übermanntwerden vom Schlaf, die Absurdität von Träumen. Heute geht es um eine Druckgrafik von Francisco de Goya mit dem Titel „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“. Alternativ gibt es aber auch noch einen andere Titel und der klingt etwas technischer: „Caprichos, Blatt Nr. 43“. Entstanden ist das Blatt aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zwischen 1793 und 1798. Dieses Kunstwerk wirft jede Menge Fragen auf und ich versuche für euch Antworten zu finden. Los geht’s.

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Schaut euch das Kunstwerk dieser Folge gerne an. In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Wie gesagt, haben wir es hier mit einer Druckgrafik zu tun, die Zeichnung ist also schwarz-weiß ohne Farben. Man sieht einen Mann an einem Tisch sitzen. Auf dem Tisch liegt Schreib- oder Zeichengerät und Papier. Der Mann hat seinen Kopf auf die Arme gelegt. Offensichtlich schläft er tief und fest. Um ihn herum bevölkern viele wilde Tiere den Bildraum. Auf dem Boden sitzt ein Luchs. Ansonsten schwirren diverse Fledermäuse, Vögel und Eulen um den Mann herum. Sie scheinen sich von oben auf ihn herab zu stürzen. Der Schlafende ist davon unbeeindruckt. Einige Fledermäuse sind riesig und erinnern mich an Batman. Ein Kauz guckt den Schlafenden Mann direkt an und reicht ihm eine Schreibfeder. Ihren Schnabel hat sie geöffnet, als würde sie gerade etwas krächzen. Die ganze Darstellung ist ziemlich rätselhaft und wirkt surreal. An der Querseite des Tisches ist außerdem noch die Inschrift: "Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor" – wobei das spanische Wort „sueño“ doppeldeutig ist, es kann nämlich „Schlaf“ aber ebenso „Traum“ bedeuten. Die Inschrift könnte also auch "Der Traum der Vernunft bringt Ungeheuer hervor" oder eben "Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor". Das wird später noch wichtig, wenn es um die Interpretationen geht.

Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante Inspirationen

Dieses Werk von Goya ist das 43. Blatt einer Grafikserie, die 80 Druckgrafiken umfasst. Die Serie heißt „Caprichos“ – das heißt Launen oder Einfälle. Dieser Grafikzyklus wurde 1799 das erste Mal veröffentlicht. Verkauft wurde das Ganze in einem Laden für Parfüm und Likör. Logisch, Alk & Art. Allerdings wurde der Verkauf aus Furcht vor Konsequenzen schon nach zwei Tagen gestoppt. Gerade mal 27 Stück waren verkauft worden – von insgesamt 270 Exemplaren. Warum hatten die Grafiken von Goya so eine Sprengkraft? Um das zu erklären muss man etwas ausholen und die Entstehung und die Einflüsse der „Caprichos“ betrachten. Das machen wir jetzt mal kurz:

Francisco de Goya war ein spanischer Maler 1746 geboren, 1828 gestorben. Lange war Goya voll auf der Erfolgsspur. Er malte das Leben am spanischen Hof, er war einer beliebtesten Künstler Spaniens – vor allem bei den Mächtigen und Reichen. Seine Gemälde waren repräsentativ, sein Einkommen stattlich. Aber dann kam ein einschneidendes Erlebnis! 1792 erkrankt Goya schwer und er verliert sein Hörvermögen. Danach sind viele seiner Werke deutlich finsterer, die Serie der „Caprichos“ entsteht. Wie gesagt, 80 Blatt Druckgrafik. Darunter sind Darstellungen von Hexen, Monstern, Adligen, Mönchen, von verzweifelten Menschen und Ausgestoßenen. Es sind chaotische, gruselige Bilder – eine Grafikreihe zwischen Fiebertraum und Horrorfilm. Goya blickt hier tief in die menschlichen Abgründe.

Die „Caprichos“ zeigen eine Welt, die aus den Fugen gerät. Es geht um die Schattenseiten der Gesellschaft: Betrug, Gewalt und Dummheit. Goya spart hier definitiv nicht mit Gesellschaftskritik. Ein wichtiger Einfluss für die „Caprichos“ ist also seine persönliche Krankheit und Krise. Aber ein anderer wichtiger Einfluss sind die sozialen und politischen Zustände Ende des 18. Jahrhunderts. Die Französische Revolution beginnt 1789. Zur Erinnerung: Kurz danach beginnt Goya an den „Caprichos“ zu arbeiten. Die Ideen der Aufklärung hegten bei vielen Hoffnung, dass die Vernunft nun herrschen möge. Jedoch war die Revolution auch blutig, 1793 wurde Ludwig XVI. exekutiert, das Terrorregime in Frankreich kostete viele Menschen das Leben. Die Ideale der Aufklärung schienen an sich selbst zu zerschellen. Es war eine extrem turbulente Zeit. Die europäischen Mächte geraten ins Wanken. Gleichzeitig bröckelt die alte Ordnung, Kirche und Adel verlieren an Einfluss.

Diese alte Ordnung klagt Goya in seinen Caprichos immer wieder an. Ein Blatt etwa zeigt einen gut gekleideten Esel – quasi ein Edel-Esel. Der guckt durch ein Familienstammbaum, in dem nur Bilder von anderen Eseln sind. Der Titel lautet: "Bis auf seinen Großvater zurück." Damit macht sich Goya offenkundig über den Adel und die Tradition lustig. Bei den Caprichos ist also auch bissige Satire dabei. Die Caprichos sind insgesamt ein gutes Beispiel dafür, wie eng Kunst und Zeitgeschehen verwoben sind und wie Kunst diese historischen Ereignisse reflektieren und kritisieren kann. Aber jetzt habe ich viel über die gesamte Grafikserie der Caprichos gesprochen. Dann schauen wir uns doch jetzt noch mal im Einzelnen das Blatt aus der Kunsthalle Karlsruhe an.

Worum geht’s hier eigentlich? Die Message

In der Serie der Caprichos hatte das Blatt „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ eine zentrale Rolle, denn vermutlich war es das Titelbild. Der schlafende Mann mit den ganzen Flugwesen – zu diesem Werk gibt es echt eine Menge unterschiedlicher Lesweisen. Man könnte das Blatt so deuten, dass Goya hier für die Aufklärung eintritt. In dem Fall würde die Inschrift auf dem Werk eher in die Richtung gehen: „Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor.“ Also: Wenn die Vernunft abwesend ist, wenn sie schläft, entsteht Schlimmes – dann kommen die Monster. Die Tiere, die auf den Schlafenden herabstürzen, wären demnach die alte Ordnung und Unterdrückung der Bevölkerung. Dann wäre dieses Werk aus Karlsruhe also der Ausdruck einer Angst. Wie sähe die Welt bloß ohne Vernunft aus? Welche Schrecken würden uns blühen?

Kommen wir zur zweiten Lesweise: Ich hatte euch ja anfangs gesagt, dass der Satz auf dem Blatt aus Karlsruhe doppeldeutig ist. Er kann nämlich auch bedeuten: „Der Traum der Vernunft bringt Ungeheuer hervor.“ Das heißt, dass der Traum, also die Idee von der Aufklärung auch Schlimmes hervorbringen kann. Wenn man nämlich zu fanatisch vorgeht und die Realität aus dem Fokus verliert. Diese Interpretation wäre also kritisch der Aufklärung gegenüber, denn wie erwähnt, ging man in der Französischen Revolution auch über Leichen und handelte gegen die eigenen Ideale.

Es gibt noch eine weitere Interpretation: Vermutlich handelt es sich bei dem Schlafenden auf dem Blatt um ein Selbstporträt von Goya. In Vorzeichnungen taucht mehrfach das Gesicht von Goya beim Schlafenden auf. In dieser Lesweise könnte das Werk für die Einbildungskraft des Künstlers stehen. „Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor.“ Also sobald der Verstand aussetzt, kommen die eigenen Gedanken, Ideen und Ängste hervor. Die Kreativität lässt sich nicht komplett kontrollieren und verstehen – das Irrationale, Träumerische hat seine eigene Dynamik. Man kann mit Vernunft nicht alles ergründen.

Hui. Ihr merkt, zu diesem Werk gibt es viele Theorien – und das hier war nur ein Teil. Über dieses Werk könnte man stundenlang sprechen und trotzdem bleibt es rätselhaft. Genau das macht große Kunst aus – diese Vielschichtigkeit. Und damit sind wir am Ende dieser Folge angelangt. Danke fürs Zuhören, ich hoffe, ihr konntet ein bisschen was mitnehmen. Ich finde das Bild von Goya jedenfalls großartig. Schaut es euch gerne nochmal in den Shownotes an und folgt kostenlos diesem Podcast. Macht’s gut. Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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