Zwischen Karlsruhe und Coco Chanel: Harlekin mit Klarinette von Jacques Lipchitz | #61

Shownotes

Der Künstler dieser Folge war nicht nur Bildhauer, sondern auch Ritter. Jacques Lipchitz schuf mit seiner Skulptur "Harlekin mit Klarinette" ein kubistisches Meisterwerk aus einem einzigen Kalksandsteinblock. Was es mit Lipchitz' Ehrentitel auf sich hat und was ein abgewetzter Kittel und die Modeikone Coco Chanel mit ihm zu tun haben, erzählt Kunstcomedian Jakob Schwerdtfeger in dieser Folge des Kunstsnack.

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Jacques-Lipchitz/Harlekin-mit-Klarinette/75C82FF5453C055ED66A7284530F139D/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Redaktion: Lara Di Carlo, Tabea Schwarze
Idee: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Lara Di Carlo
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Bruno Kelzer | kelzer.de
Gestaltung: Pia Schmeckthal, Auf die Ohren GmbH

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Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Zwischen Karlsruhe und Coco Chanel: Jacques Lipchitz, Harlekin mit Klarinette

In dieser Folge geht es um den Künstler Jacques Lipchitz. Der war nicht nur Bildhauer, sondern auch Ritter. Allerdings nicht wie Richard Löwenherz oder Ritter Rost. Er war Ritter der Französischen Ehrenlegion. Also ein stattlicher Ehrentitel – kein scharfes Schwert, dafür gesellschaftlicher Wert. Außerdem war er mit Picasso befreundet und schaffte es bis in die High Society. Denn die Modeikone Coco Chanel sammelte Werke von ihm. Lipchitz schuf mehrere Skulpturen für ihren Kamin. Wer kennt sie nicht? Die klassische Kamin-Kunst. Auch die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe besitzt eine Skulptur von Jacques Lipchitz. Sie trägt den Titel „Harlekin mit Klarinette“ und stammt aus dem Jahr 1919. Dann schauen wir uns diesen umtriebigen Künstler und sein Werk doch mal näher an. Viel Spaß!

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Ich sag’s euch ehrlich, die Skulptur dieser Folge ist nicht so easy zu beschreiben. Am liebsten würde ich sagen: Schaut sie euch einfach selbst an. Und das ist tatsächlich möglich. In den Shownotes dieses Podcasts ist ein Link zur Abbildung. Aber jetzt beschreibe ich euch die Skulptur natürlich trotzdem.

Was gibt’s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

In der Kunstgeschichte spricht man bei Skulpturen sehr gerne von „Allansichtigkeit“. Das heißt eigentlich nur: Skulpturen kann man sich von allen Seiten angucken. Logisch, die sind ja auch dreidimensional. Bei dieser Skulptur lohnt es sich aber besonders drum herum zu gehen, weil die aus wirklich jedem Winkel überraschend und spannend ist. Ich habe den „Harlekin mit Klarinette“ kürzlich im Original in Karlsruhe gesehen und bin sicher fünf, sechs Mal drum herum getigert. Ich bin öfter im Kreis gegangen als Dagobert Duck in seinem Geldspeicher, wenn er am Überlegen ist. Was übrigens ein Harlekin ist erläutere ich euch gleich. Nur kurz: das ist so eine Art Schalk oder Narr.

Zur Skulptur: Was sehen wir? Wir haben es hier mit einer stark abstrahierten Skulptur zu tun. Die Figur ist auf große geometrische Formen heruntergebrochen. Es sind übereinander und ineinander geschobene Blöcke, die zusammen eine menschliche Figur ergeben. Es sieht aus, als hätte man den Harlekin aus eckigen Bauklötzen zusammengesetzt oder als hätte man Origami aus Stein gemacht. Man kann einen Kopf erkennen und Beine, Arme, Füße. Drei runde Formen deuten eine Klarinette an. Das erkennt man aber nur, wenn man den Titel „Harlekin mit Klarinette“ kennt. Ihr kennt noch doch aus der Kindheit diese Kaleidoskope. Diese runden Dinger, durch die die ganze Welt aussah wie ein bunter LSD-Trip. Ein bisschen so geometrisch zerlegt sieht die Skulptur aus.

Wenn man um dieses Werk herumgeht, merkt man: Das Ganze hat Rhythmus. Ich weiß, es ist komisch das über eine Skulptur zu sagen, aber es trifft zu. Die Formen greifen so dynamisch ineinander. Das ist wirklich irre gemacht, vor allem wenn man sich klarmacht, dass das einfach aus einem Block Kalksandstein geschlagen wurde. Man muss sagen Jacques Lipchitz hat hier echt etwas geschaffen – und zwar: Ein modernes Meisterwerk!

Der Blick fürs Detail

Werfen wir kurz einen näheren Blick auf ein Detail, nämlich auf den Titel der Skulptur: „Harlekin mit Klarinette“. Der Harlekin ist eine jahrhundertealte Figur. Er war eine Art Scharlatan, Spaßmacher und Akrobat. Der berühmte Dichter Dante schrieb im 14. Jahrhundert sein Hauptwerk „Die Göttliche Komödie“ und darin gab er einem Harlekin eine zentrale Rolle. Und Anfang des 20. Jahrhunderts war der Harlekin ein beliebtes Thema in der Kunst – zum Beispiel Picasso malte immer wieder welche. Die Kunstschaffenden feierten den Harlekin, weil er gesellschaftlich unangepasst war. Man mochte den Außenseiterstatus und die kreative Freiheit, die dem Harlekin zustand. Vermutlich sahen sich manche Kunstschaffenden in einer ähnlichen Rolle. Auch Jacques Lipchitz hatte es der Harlekin offenbar angetan.

Der Epochen-Check

Ich hatte euch ja beschrieben, dass die Skulptur aus der Kunsthalle Karlsruhe sehr geometrisch aufgebaut ist. Und damit passt sie gut in die Kunstrichtung Kubismus. Der kam Anfang des 20. Jahrhunderts in Frankreich auf. Man wollte die Motive in geometrische Formen zerlegen – unter anderem Kuben. Ihr merkt, Kubismus – ergibt Sinn. Außerdem wollte man in den Kunstwerken mehrere Perspektiven gleichzeitig zeigen. So als würde man gleichzeitig alle Seiten eines Würfels sehen. Die kubistische Malerei sieht deshalb immer ein bisschen aus, als hätte man einen Spiegel zerschlagen und die Teile neu zusammengesetzt.

Ab 1916 arbeitete Jacques Lipchitz kubistisch, zur Erinnerung sein „Harlekin mit Klarinette“ ist von 1919. Für ihn war der Kubismus durchaus eine Herausforderung, denn als er damit anfing, gab es so gut wie keine kubistischen Skulpturen. Der Fokus lag auf der Malerei. Also musste er erst mal seine eigene Formensprache entwickeln, was ihm vorzüglich gelungen ist, wie man in der Kunsthalle Karlsruhe sehen kann. Bei der Skulptur dieser Folge denkt er den Körperaufbau neu, er bringt die einzelnen Körperteile in eine neue Ordnung und baut alles von Grund auf anders auf – fast schon als wäre der Harlekin wie Architektur.

Für Lipchitz waren Kubisten wie Picasso, Georges Braque oder Juan Gris wichtige Einflüsse. Zusammen mit ihnen arbeitete Lipchitz eng zusammen – man befruchtete sich gegenseitig. Im Kubismus war es sehr beliebt Musikinstrumente zu sammeln und zu malen. Gitarren oder Blasinstrumente wurden in den Bildern wild zerlegt und wieder neu zusammengesetzt, als hätte man die Anleitung dafür verloren. Lipchitz hängte einige Musikinstrumente in seinem Atelier auf und baut ja auch ein Instrument bei seinem Harlekin ein.

Ehrlichgesagt der Kubismus war eine ziemlich theoretische Angelegenheit. Da haben sich schlaue Menschen viele Gedanken darüber gemacht, wie man Kunst neu denken kann. Jacques Lipchitz war einer von ihnen – hier ein Zitat über seine künstlerische Vorgehensweise und das geometrische Arbeiten: „Ich entdeckte plötzlich, dass Volumen in der Skulptur durch Licht und Schatten geschaffen wird. Volumen ist Licht. Bei einer sanft gerundeten oder krummlinigen Skulptur wäscht das Licht über die Oberfläche und vermindert oder zerstört möglicherweise das Gespür für Volumen, das Gespür für eine dritte Dimension. Wenn die Formen einer Skulptur winklig sind, wenn die Oberfläche durch tiefe gegenseitige Durchdringungen und Kontraste aufgebrochen ist, kann das Licht erwirken, dass die wahren skulpturalen Qualitäten hervorgebracht werden.“ Na, alles verstanden? Falls nicht, kein Ding. Ich wollte ja nur zeigen, dass sich Lipchitz schlaue Gedanken gemacht hat.

Wer hat‘s gemacht? Künstler im Spotlight

Es gibt eine schöne Anekdote über Jacques Lipchitz. Damals war er schon ein berühmter Künstler, soll aber ziemlich schäbige Klamotten getragen haben. Als er in einer Gießerei war, wurde er darauf angesprochen. Nach dem Motto: „Warum kaufst du dir keinen neuen Kittel?“ Aber er meinte, dass er lange gebraucht habe, bis der Kittel so weich sei und jetzt wäre der richtig angenehm zu tragen. Abgefuckter Look, aber große Kunst. Ich finde die Vorstellung wunderbar, dass dieser Typ mit diesem abgewetzten Kittel dann Ritter der Französischen Ehrenlegion wurde.

Ok, kurz zur Biografie: 1891 wird Lipchitz in Litauen geboren, 1909 geht er dann nach Paris. Hier lernt er an der Akademie die Bildhauerei. Zu dieser Zeit ist Paris ein absoluter Hotspot der Kunst. Hier sind einfach alle. Das muss so eine brodelnde Atmosphäre gewesen sein. Also, wenn ich eine Zeitreise machen könnte, dann würde ich in diese Zeit reisen, Anfang des 20. Jahrhunderts nach Paris. Die Kunstschaffenden lebten dort größtenteils in Armut, aber hatten so eine Schaffenswut, so eine Experimentierfreudigkeit – Wahnsinn.

1915 hat Lipchitz dann eine künstlerische Krise und zerstört viele seiner Werke. Kurz danach beginnt er kubistisch zu arbeiten. Er probiert viel mit Formen herum, mit Volumen, mit Fülle und Leere. In dieser Zeit bekommt er auch einen Vertrag bei einem wichtigen Kunsthändler, 1924 erhält er die französische Staatsbürgerschaft. Zu dieser Zeit ist er in den USA bereits richtig bekannt.

In den 1920er langsam verabschiedet er sich vom Kubismus. Seine Werke werden weniger streng geometrisch, sondern in der Formensprache geschwungener und organischer. Er beschäftigt sich viel mit Mythologie – die alten Mythen dienen ihm dazu aktuelle politische Ereignisse zu verarbeiten. Mit der Machtergreifung der Nazis stürzt Lipchitz in eine Krise. Wegen seiner jüdischen Abstammung muss er schließlich in die USA fliehen und landet 1941 in New York. Es folgen bedeutende Ausstellungen und internationale Aufträge. 1952 vernichtet ein Brand sein Atelier, viele Werke sind zerstört. Vorher hatte er selbst seine Kunst vernichtet, jetzt ist es das Feuer. Wieder führt das zu enormer künstlerischer Motivation bei Lipchitz, ergibt sich nicht geschlagen. 1973 stirbt der Künstler dann auf Capri. Jacques Lipchitz‘ Biografie ist eine Geschichte voller Niederschläge und Comebacks. Eine Geschichte voller Innovationen und Ideen. Dieser Künstler ist definitiv seinen eigenen Weg gegangen und nun einer der wichtigsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Coco Chanel sah das offenbar auch so und die Kunsthalle Karlsruhe auch, denn sie besitzen ja diesen tollen Harlekin. In der Sammlung dieses Museums befinden sich natürlich viele andere großartige Werke. Deshalb machen wir ja diesen Podcast hier, um euch genau diese Kunst zu zeigen. In zwei Wochen stelle ich euch also das nächste Werk vor. Bis dahin, abonniert Kunstsnack kostenlos und macht’s gut. Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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