Kunstwissen plus Überlebenstipps: Feuerlilien von Jenny Fikentscher | #49
Shownotes
Eine unkonventionelle Künstlerin, die auch als Obstverkäuferin bekannt wurde, eine Blume, die angeblich Blitze anzieht und zu guter Letzt Überlebenstipps für den Alltag - dieser Kunstsnack zu Jenny Fikentschers "Feuerlilien" hat es in sich. Jakob Schwerdtfeger erklärt in dieser Episode auch, was es mit dem Jugendstil auf sich hat, warum Künstlerkolonien so beliebt waren und wie die Lithografie den massenhaften Druck farbiger Werke möglich machte.
Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Jenny-Fikentscher/Feuerlilien/54098051433E5590BE9ABFB1F6E51069/
Bleibt mit uns im Austausch, diskutiert mit der Community, sagt uns, was Ihr als Nächstes hören, oder was Ihr schon immer mal aus der Welt der Kunst wissen wollt.
Instagram: https://www.instagram.com/kunsthalle_ka/
X (vormals Twitter): https://twitter.com/Kunsthalle_Ka
LinkedIn: https://www.linkedin.com/company/staatliche-kunsthalle-karlsruhe/
Per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de
Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Text: Jakob Schwerdtfeger
Idee und Redaktion: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Stefan Lautenschläger und Tabea Schwarze
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Pierre Jarawan
Gestaltung: Bureau Mitte Designagentur, Frankfurt
Transkript anzeigen
Kunstwissen plus Überlebenstipps: Feuerlilien von Jenny Fikentscher
Das Kunstwerk der heutigen Folge ist komplett on fire, denn es heißt Feuerlilien und es stammt von der Künstlerin Jenny Fikentscher. Das Kunstwerk ist signiert mit folgendem Satz: „Meinem lieben Gustel, wenn er's mag“. Und ich sag mal so: Wenn der liebe Gustel es nicht mag, also ich nehm’s gerne. Aber das Werk befindet sich in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, also keine Chance für mich und es geht heute um die Feuerlilie, eine Blume, die angeblich Blitze anzieht. Und es geht um eine krasse Künstlerin, die nebenbei eine bekannte Obsthändlerin in Karlsruhe wurde. Also, viel Spaß!
Intro
Bevor es losgeht: Schaut mal in die Shownotes von diesem Podcast. Da findet ihr einen Link zur Abbildung. Dann könnt Ihr Euch die Feuerlilien in Ruhe anschauen.
Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung
Wir haben es mit einem Kunstwerk auf Papier zu tun. Das Blatt ist etwa 30 cm hoch und 41 cm breit. Was sehen wir? Blumen. Richtig viele Blumen. Der gesamte Vordergrund ist voller grüner Stängel und Blätter. Dazwischen sind orange-rote Blüten. Rot und grün, also diese Stängel, die grün sind und die orange-roten Blüten, rot und grün sind Komplementärfarben. Das heißt, diese Farben liegen sich im Farbkreis gegenüber und wenn man die nebeneinander platziert, also rot und grün nebeneinandersetzt, dann leuchten die besonders stark. In anderen Worten: Die Blumen ballern.
Es handelt sich, wie gesagt, um Feuerlilien. In einem Blumen-Onlineshop heißt es, dass Feuerlilien „einen attraktiven Hingucker in jedem zu Hause“ bieten. Auf dem Kunstwerk von Jenny Fikentscher sind die Feuerlilien allerdings nicht drinnen, also im Zuhause, sondern draußen. Ein Hingucker sind sie trotzdem. Hinter den Blumen auf dem Bild sieht man grüne Berge und dazwischen ein paar Häuser. Offenbar hat die Künstlerin hier also wildwachsende Feuerlilien gezeichnet.
Kurz zur Technik dieses Kunstwerks, denn die ist ziemlich spannend. Es handelt sich um eine Lithografie. Das war eine Drucktechnik und ich breche Euch das mal kurz runter. Man zeichnet das Motiv auf einen flachen Stein und zwar mit fetthaltigen Farben. Also man malt quasi mit Fett – das wird wichtig. Dann reibt man diesen Stein mit Wasser ein. Dabei macht man sich den Effekt zunutze, dass sich Wasser und Fett abstoßen. An den bemalten, fettigen Stellen zieht das Fett in den Stein ein und an den unbemalten Stellen zieht das Wasser in den Stein ein. Dann reibt man den Stein mit Farbe ein, damit bleibt die Farbe also nur an den fettigen Stellen haften. Die nicht bemalten Stellen sind nass und stoßen die Farbe ab. Dann legt man ein Blatt auf den Stein und ab in die Presse damit. Fertig ist die Lithografie. Denn nur die bemalten Stellen, wo die Farbe jetzt drauf ist, auf dem Fett, drucken sich jetzt ab. Im 19. Jahrhundert konnte man auf diese Weise massenhaft drucken und das Ganze sogar farbig. Jenny Fikentscher hat viel mit Lithografien gearbeitet und die Feuerlilien, das ist eines ihrer bekanntesten Werke.
Der Epochen-Check
Es ist nicht klar, aus welchem Jahr genau das Werk mit den Feuerlilien stammt. Aber die Künstlerin Jenny Fikentscher wird dem Jugendstil zugerechnet. Beim Jugendstil handelt es sich nicht um einen aktuellen Stil von Jugendlichen – ehrlich gesagt zum Glück, denn die aktuelle Mode ist ein schlimmer Backflash in meine Jugendzeit.
Nein, der Jugendstil ist eine Kunstrichtung Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Begriff stammt von einer Zeitschrift, die hieß Jugend. Damals wurde die Welt durch die Industrialisierung immer technischer und man sehnte sich mehr nach einer Nähe zur Natur. Deshalb sind viele Formen im Jugendstil von Pflanzen inspiriert. Die Formen sind oft floral und ornamental. Da passt so ein Werk wie die Feuerlilien natürlich super rein. Viele Kunstwerke im Jugendstil bestehen aus geschwungenen Linien und fließenden Formen. Man könnte auch sagen: Der Jugendstil ist ziemlich wavy.
Im Jugendstil ging es darum, alle Lebensbereiche miteinander zu verbinden, also Kunst, Gesellschaft und Arbeit. Oft wurden so genannt Gesamtkunstwerke geschaffen – Räume, bei denen Architektur, Bilder und Dekoration ineinandergreifen. Alles gerne mit so Muschelformen oder eben Blumenformen.
Die Feuerlilien von Jenny Fikentscher weisen einige Merkmale des Jugendstils auf: Das Werk ist klar strukturiert und auf das Wesentliche reduziert. Das Motiv ist naturnah und floral. Und wie der gesamte Jugendstil sind auch die Feuerlilien sehr dekorativ.
Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante Inspirationen
Ich hatte ja bei der Bildbeschreibung gesagt, auf dem Kunstwerk aus der Kunsthalle Karlsruhe ist im Hintergrund eine hügelige Landschaft zu sehen. Das ist die Umgebung von Grötzingen. Ehrlich gesagt, es gibt definitiv schönere Ortsnamen als Grötzingen... Gut, okay, es gibt aber auch schlimmere: Wixhausen zum Beispiel, das ist in Hessen. Oder in der Schweiz bin kürzlich durch Sissach gefahren. Sissach – ich finde das klingt, als würde man Sitzsack mit 4 Promille aussprechen. Naja, auf jeden Fall war Grötzingen ein wichtiger Ort für Jenny Fikentscher. Denn dort war sie Teil der Grötzinger Malerkolonie.
Das war eine Gemeinschaft von Kunstschaffenden. In der Grötzinger Malerkolonie hat man zusammengearbeitet, zusammengelebt und sich gegenseitig inspiriert und ausgetauscht. Grötzingen ist heute der östlichste Stadtteil von Karlsruhe, also nicht Downtown. Hier wohnte Jenny Fikentscher mit ihrer Familie und den anderen in einem Schloss, das ihr Mann gekauft hatte. Den Garten bewirtschaftete man selbst, in der Umgebung fand Fikentscher dann auch ihre Pflanzenmotive.
Künstlerkolonien sind ein spannendes Phänomen, das im 19. Jahrhundert losging. Kunstschaffende verließen die Städte, sie sehnten sich nach Ruhe, Entschleunigung und Natur. Im Prinzip wie der Jugendstil. Oft waren Künstlerkolonien in kleineren Dörfern auf dem Land. Hier errichtete man eine Art Idealgemeinschaft – und ich muss sagen, so was hätte ich auch gerne mal erlebt. Das war sicher ein super kreatives Umfeld. So zusammen zu arbeiten und zu leben – und Jenny Fikentscher hat auch definitiv ein ungewöhnliches Leben geführt. Nicht angepasst an die Gesellschaft, sondern eigenwillig und unkonventionell – genau wie ihre Kunst.
Kunst-Hotspot Karlsruhe
Jenny Fikentscher war nicht nur eine berühmte Künstlerin in Karlsruhe, sondern auch eine bekannte Obsthändlerin. Als sie dann eine etwas ältere Frau war, verkaufte sie nämlich auf dem Wochenmarkt in Karlsruhe Obst und Gemüse. Das stammte aus ihrem eigenen Garten. Fikentscher beherrschte verschiedene Welten: Von der Kunst bis zur Kartoffel. Vom Bild bis zur Bohne. Von der Lithografie bis zur Litschi – okay, gut, Litschi, das ist Quatsch – da habe ich mich ein bisschen verrannt.
Als junge Frau war Jenny Fikentscher auch schon in Karlsruhe tätig. Sie war Schülerin an der Malerinnenschule in Karlsruhe. 1899 trat sie dann dem Karlsruher Künstlerbund bei. Wie gesagt gehörte ja auch die Grötzinger Malerkolonie zu Karlsruhe. Jenny Fikentscher hat also durchaus dazu beigetragen Karlsruhe als Kunststadt auf die Karte zu packen. Umso passender, dass die Kunsthalle Karlsruhe ihr Werk Feuerlilien in der Sammlung hat.
Wer hätte das gedacht? Faszinierender Funfact
Hier noch ein Funfact zur Feuerlilie. Dieser Pflanze wurde nachgesagt, dass sie Blitze anziehen würde – das kam vermutlich wegen der feuerroten Farbe. Und deshalb sollte man die Feuerlilie auch nicht in Häuser mitnehmen. Ich meine, wer kennt das nicht? Die bekannten Blitzblumen. Das ist natürlich völliger Quatsch. Genau wie der Satz bei Gewitter "Buchen sollst du suchen, Eichen sollst du weichen.". In beide Baumsorten, in Buchen und Eichen, schlagen gleich viele Blitze ein. Man sieht es nur bei Buchen weniger, weil an der glatten Rinde der Buche das Wasser entlangläuft und den Blitz so direkt in den Boden geleitet wird. Dadurch sieht man den Blitzeinschlag am Stamm von Buchen weniger. Aber es ist genau gleich gefährlich. Hab ich extra recherchiert, damit ich Euch zum Abschluss noch einen kleinen Überlebenstipp mitgeben kann. Gern geschehen.
So, damit sind wir am Ende, ich hoffe, die Folge hat Euch gefallen. Abonniert gerne diesen Podcast, dann hören wir uns wieder in zwei Wochen mit der nächsten Folge vom Kunstsnack, macht's gut, Ciao.
Neuer Kommentar