Grandiose Anti-Kunst: Merzbild 21b, Das Haar-Nabelbild von Kurt Schwitters | #47

Shownotes

Dass Müllabfälle, Haarbüschel und Korken zu Kunst werden können, beweist Kurt Schwitters mit seinem "Merzbild 21b - Das Haar-Nabelbild" aus dem Jahr 1920 - darum handelt dieser Kunstsnack. In dieser Episode geht es um seine Assemblage, die Kunstrichtung Dadaimus, aber vor allem um Schwitters Merzkunst, mit der er die Zerrissenheit der damaligen Zeit deutlich machte. Was ein Elefant, die Bahlsen-Kekse und eine Werbetafel damit zu tun haben? Jakob Schwerdtfeger erklärt es Euch!

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Kurt-Schwitters/Merzbild-b--Das-Haar-Nabelbild/62981ED845BD92DAA1BD6588C555C564/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Idee und Redaktion: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Sarah Ball
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Pierre Jarawan
Gestaltung: Bureau Mitte Designagentur, Frankfurt
Förderer: Dieser Podcast wird finanziell unterstützt von der Werner-Stober-Stiftung sowie den Freunden der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe e.V.

Transkript anzeigen

Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle KarlsruheGrandiose Anti-Kunst: Merzbild 21b, Das Haar-Nabelbild von Kurt Schwitters

Ich komme gebürtig aus Hannover. Über diese Stadt sagen immer alle: "Boah, Hannover ist soooo langweilig." Das ist ungefähr so innovativ wie der Witz, dass Bielefeld nicht existiert. Und es ist natürlich völlig Quatsch. Hannover hat nämlich zwei echte Highlights zu bieten:

Die Bahlsen Kekse

Kurt Schwitters

Dieser Künstler ist der ganze Stolz von Hannover, denn er wurde 1887 dort geboren. Kurt Schwitters war richtig innovativ, wahnsinnig produktiv und wirklich witzig. In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe befindet sich sein Werk "Merzbild 21b, Das Haar-Nabelbild“. Es stammt aus dem Jahr 1920. Und das schauen wir uns jetzt mal in Ruhe an, denn wow – ist das ungewöhnliche Kunst. Viel Spaß!

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Ich finde Kurt Schwitters sollte man gesehen haben. Und das könnt ihr jetzt tun. In den Shownotes findet ihr einen Link. Damit gelangt ihr zu Abbildung des Kunstwerks, um das es jetzt geht. Aber natürlich beschreibe ich euch das Ganze, wie immer.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Der schwarze Rahmen ist wohl das klassischste an diesem Bild. Denn der Rest ist ziemlich… anders. Bei Kurt Schwitters' Kunstwerk handelt es sich um eine sogenannte Assemblage. Das ist eine dreidimensionale Collage. Das Werk "Merzbild 21b, Das Haar-Nabelbild“ besteht aus vielen Materialien: Der Großteil ist Papier. Die meiste Fläche des Bildes besteht aus Zeitungsschnipseln, alten Fahrkarten und anderen Papierstücken – eine Collage, die dann hauptsächlich mit den Farben grün und blau überpinselt wurde. Man kann noch die Wortfetzen „TURIS“ und „esetzt“ erkennen. In die Mitte des Bildes ist ein Korken geklebt, daneben befindet sich ein Pfeil und das Wort „Nabel“. Das Werk heißt ja „Haar-Nabelbild“. Dann hätten wir also schon mal den Nabel gefunden.

Wo ist dann das Haar aus dem „Haar-Nabelbild“? Das Haar ist oben rechts im Bild. Da sind verschiedene Holzteile und Pappen auf's Bild genagelt. Außerdem ein Knopf, ein Stück Watte und ein kleines Büschel Haare. Von weitem sieht Schwitters' Werk ein bisschen aus wie eine Werbetafel, die man abgerissen und übermalt hat.

Jetzt könnte man meinen: Eine Assemblage, mein Gott, das ist doch nix Neues. Naja, 1920, als das Bild von Schwitters entstand, war diese Technik ziemlich neu. Kurt Schwitters hat Kunst gemacht, aus Fundstücken von der Straße. Es ist das Fundbüro der Kunst, der Ertrag seiner Spaziergänge. Für mich ist das genau das, was Kunst ausmacht: Den Mehrwert und die Bedeutung sehen in Dingen, die andere achtlos übersehen. Den Blick auf das Beiläufige richten. Passend dazu hat Schwitters mal gesagt: „Man kann auch mit Müllabfällen schreien.“

Der Epochen-Check

Kurt Schwitters wollte nie zum Dadaismus gehören und trotzdem wird er oft zu dieser Kunstrichtung gezählt. Tja, man kann es sich nicht immer aussuchen. Der Dadaismus setzte der Unsinnigkeit des Ersten Weltkrieges Unsinnigkeit entgegen. Dada entstand im Jahr 1916 und es ging darum zu schocken. Man wollte rebellieren gegen die bürgerlichen Werte und Vorstellungen. Es gab Aufführungen, bei denen das Publikum beleidigt wurde. Gedichte wurde vorgetragen und von Schreien unterbrochen. Es wurden crazy Kostüme getragen und Texte in Fantasiesprache verfasst, sogenannte Lautgedichte. Objekte hingen bei einer Ausstellung von der Decke. Alles war sehr wild und chaotisch. Insgesamt ging es dem Dadaismus darum, möglichst absurde Kunstwerke zu schaffen. Es war im besten Sinne Anti-Kunst.

Eine wichtige Figur im Dadaismus war die Künstlerin Hannah Höch, sie hat zum Beispiel eine Collage gemacht mit einem Elefanten mit Augen in den Ohren in einem Zigarrenwald. Klingt nach einem soliden Drogentrip. Wenn ihr mehr dazu wissen wollt, das Kunstwerk ist das Thema der Folge 7 von Kunstsnack. Außerdem: Kurt Schwitters war mit Hannah Höch sehr eng befreundet.

Also, wenn Schwitters nicht zum Dadaismus gehörte, dann stand er dieser Kunstrichtung und ihrer Denkweise auf jeden Fall sehr nah. Schwitters entwickelte seine eigene Spielform von Dada und die hieß „Merz“. Der Begriff entstand aus einem Reklame für die Commerzbank, daraus nahm Schwitters dann die Buchstaben „Merz“. Damit wäre dann auch geklärt, warum das Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe „Merzbild 21 b“ heißt. Wir konnten jetzt also Merz und Haar-Nabelbild aufklären.

Merz ist wie eine Art Überbegriff für alles, was Schwitters tat. Wie die Dachmarke „Kinder“ von Ferrero. Es gibt Kinder Schokolade, Kinder Schoko Bons, Kinder Bueno usw. Genauso gibt es Merzgedichte, Merzbilder, Merztheater und sogar einen Merzbau. Der ist wirklich kurios und der absolute Alptraum eines jeden Vermieters. Beim Merzbau hat Kurt Schwitters seine Wohnung in Hannover in ein dreidimensionales Kunstwerk verwandelt. Alles zugebaut, wie eine Mischung aus Kuriositätenkabinett, Irrgarten, Höhle und begehbarem Kunstwerk. Im Sprengel Museum in Hannover gibt es einen Nachbau von dem Merzbau, der im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Das ist echt sehenswert. Ich habe selten so ein umfassendes, einnehmendes Kunstwerk gesehen. Ein Besuch bei Kurt Schwitters und seinem Merzbau muss ein absolutes Highlight gewesen sein. Da ging einem der Gesprächsstoff sicher nicht aus.

Dass Schwitters viele Fundstücke und kaputte Gegenstände benutzt hat, hatte wohl auch eine tiefere Ebene. Er sagte in Bezug auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg: „Kaputt war sowieso alles, und es galt, aus den Scherben Neues zu bauen. Das aber ist Merz.“ Plötzlich ergeben die zerrissenen Zeitungen, die kaputten Korken, die weggeworfenen Papierstücke aus dem Bild aus Karlsruhe mehr Sinn. Die gesellschaftlichen Brüche und die Zerrissenheit schlagen sich in Schwitters Kunst nieder.

Wer hätte das gedacht? Faszinierender Funfact

Kurt Schwitters studierte an der Kunstgewerbeschule in Hannover und an der Königlichen Kunstakademie in Dresden. In Berlin wurde er abgelehnt. Die Begründung „untalentiert“. Wow, das ist deutlich und eine krasse Fehleinschätzung.

Ein weiterer Funfact zu Schwitters hat mit seinem Gedicht „An Anna Blume“ zu tun. Es ist eines der bekanntesten Werke von Schwitters – er erlangte damit Weltruhm. In Hannover hing Werbung für seinen Gedichtband sogar an Litfaßsäulen. Und es klingt unglaublich, aber die Rapgruppe „Freundeskreis“ wurde von Schwitters inspiriert. Ihr kennt vielleicht noch die Zeile:

„Nass bis auf die haut so stand sie daA-N-N-A"

Das ist eine Anspielung auf "An Anna Blume", denn auch da wird der Name Anna von Schwitters buchstabiert. Also, von Hannover bis in den Hip-Hop Olymp. Das kann nur Kurt Schwitters. Und die Kunsthalle Karlsruhe hat wirklich ein großartiges Werk von ihm. Damit sind wir durch für heute, endlich konnte ich mal über meine Heimatstadt Hannover bei Kunstsnack reden. Das macht mir gute Laune. In diesem Sinne: Bis in zwei Wochen zur nächsten Folge. Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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