Die IKEA-Anleitung der Kunst: Mantel-Stahlstück von Franz Erhard Walther | #44

Shownotes

In diesem Kunstsnack geht es um Kunst, die provoziert: Das "Mantel-Stahlstück" von Franz Erhard Walther. Kunsthistoriker und Comedian Jakob Schwerdtfeger verrät, warum das Werk auch die Auslage einer teuren Modeboutique sein könnte und warum der Künstler mit seiner Kunst die Grenze zwischen Publikum und Kunst auflöste. Außerdem erfahrt Ihr, warum Imagination eine wichtige Rolle spielt und was Sackhüpfen und IKEA-Anleitungen damit zu tun haben.

Das Werk in der Onlinesammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Franz-Erhard-Walther/Mantel-Stahlst%C3%BCck/11A9F5A240093BE98B2779BCDF38EA78/

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Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Text: Jakob Schwerdtfeger
Idee und Redaktion: Daniela Sistermanns, Sarah Ball, Tabea Schwarze
Beratung: Thomas Frank
Ton und Schnitt: Sarah Ball
Sounddesign und Musik: Milan Fey, Auf die Ohren GmbH
Sprecher Intro und Outro: Martin Petermann, Auf die Ohren GmbH
Sprecherin der Rubriken: Lena Günther, Auf die Ohren GmbH
Foto: Pierre Jarawan
Gestaltung: Bureau Mitte Designagentur, Frankfurt
Förderer: Dieser Podcast wird finanziell unterstützt von der Werner-Stober-Stiftung sowie den Freunden der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe e.V.

Transkript anzeigen

Kunstsnack. Ein Podcast der Staatlichen Kunsthalle KarlsruheDie IKEA-Anleitung der Kunst: Mantel-Stahlstück von Franz Erhard Walther

Das Werk, um das es heute geht, könnte auf den ersten Blick auch die Auslage aus einer sündhaft teuren Modeboutique sein. Auf jeden Fall ist es herausfordernde, vielleicht sogar provozierende Kunst aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Ich sag's euch ehrlich, vor dieser Folge konnte ich mit dem Künstler Franz Erhart Walther nicht viel anfangen, aber nach der Recherche hat sich das verändert und jetzt bin ich Fan. Ich hoffe, so geht es euch nach dieser Folge auch. Es geht um das „Mantel-Stahlstück“ aus dem Jahr 1969. Gemacht hat es besagter Franz Erhart Walther. Wenn ihr von ihm noch nie gehört habt, easy, dann holen wir das jetzt nach. Viel Spaß!

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Bevor es losgeht, ein kurzer Hinweis: In den Shownotes findet ihr einen Link, dort könnt ihr euch das Werk der heutigen Folge anschauen.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Das Werk der heutigen Folge heißt ja „Mantel-Stahlstück“ und das befindet sich in der Kunsthalle Karlsruhe. Es handelt sich dabei um eine Zusammenstellung aus mehreren Objekten. Auf dem Boden liegt ein ausgebreiteter roter Stoffmantel mit Taschen und Schnüren. Alles ganz ordentlich flach ausgelegt, wie in einer Modeboutique, wo keine Preise im Schaufenster sind. Links und rechts daneben liegen jeweils rote Tragetaschen. Die sind beide aufgefaltet und darin sind mehrere nach Größe gestapelte Stahlplatten. Würde man die Taschen zusammenfalten, hätte man Taschen mit Stahlplatten drin. Das dürfte sich ähnlich anfühlen wie die Reisetasche von meinem Cousin. Da bin ich mit ihm in den Urlaub gefahren und er hatte ernsthaft seine Hanteln dabei. Franz Erhart Walthers „Mantel-Stahlstück“ sieht aus, als hätte ein Ordnungsfreak einen Teil seiner Klamotten im Museum ausgelegt. Aber hier geht es um deutlich mehr.

Worum geht’s hier eigentlich? Die Message

Also, was hat es mit diesem Mantel und den Taschen auf sich? Franz Erhart Walther wollte Kunst machen, die das Publikum mit einbezieht. Die Leute sollten nicht nur passiv im Museum rumstehen, sondern selbst aktiv werden. Das war typisch für die Kunst der 1960er Jahre. Das Werk ist ja von 1969. Die Grenze zwischen Publikum und Kunst sollte eingerissen werden. Teilweise wurde damals das Publikum von manchen Künstler*innen sogar richtig angegangen und beleidigt. Aber Franz Erhard Walther war da deutlich ruhiger. Es gibt etliche Werke von ihm, die man berühren oder auf die man sich daraufstellen darf. In Karlsruhe ist das nicht der Fall, aber das Werk verkörpert viel, um das es dem Künstler ging.

Franz Erhard Walthers Werk aus der Kunsthalle Karlsruhe war Teil einer Handlung, die man auch später wiederholen kann. 1996 aktivierte der Künstler sein Werk. Aktivieren, das klingt so ein bisschen als hätte Franz Ehrhard Walther einfach den Knopf von einer Maschine gedrückt, aber so war es nicht. Mit Aktivierung ist hier gemeint, dass der Künstler einen genau definierten Prozess, eine durchgeplante Handlung aufgeführt hat. Das Material plus der Prozess bilden dann das Werk. Und das Ganze ging so: Die Taschen werden um den Körper gebunden. Der Mantel wird auf dem Boden ausgelegt. Ich hatte ja gesagt: Der Mantel hat viele Taschen. In diese Taschen kommt jetzt die Hälfte Stahlplatten. Das klingt irgendwie, also würde man sich eine kugelsichere Weste bauen, aber ok. Die andere Hälfte der Stahlplatten kommt auf den Boden.

Als weitere Anweisung kam von Franz Erhart Walther: "Der Künstler zieht den Mantel an, bindet ihn (vorne) zu und steht einige Zeit regungslos. Das Gewicht des plattenbewehrten Mantels ist spürbar.“ (Zitat Ende)

So, und dann nimmt der Künstler die Metallstücke aus dem Mantel und wirft sie auf die Metallstücke auf dem Boden. Die Nachbarn des Künstlers haben sich sicher gefreut, wenn er für seine Aktion geübt hat. Aber der Lärm ist Teil der Kunst. Und wie die Metallplatten liegen bleiben auch.

Weiter heißt es in der Werkanweisung: "Nach dem Abwerfen der letzten Platte verharrt der Künstler noch eine Weile, um dann die Schlaufen des Mantels aufzubinden, diesen abzustreifen und auf den Boden gleiten zu lassen. Die Werksituation kann so für längere Zeit verbleiben.“ Also, das Chaos, das der Künstler hinterlässt ist alles Teil der Kunst. Das wäre die perfekte Ausrede gewesen, um früher das Zimmer nicht aufzuräumen. Man kann aber die Taschen, den Mantel und die Metallstücke wieder so ordnen, wie ich euch das Kunstwerk beschrieben habe.

Die Gegenstände in der Kunsthalle Karlsruhe sind also eine Zusammenstellung von Objekten, sie sind aber auch Überreste einer Handlung. Diese Handlungsanweisung ist auch in der Kunsthalle Karlsruhe – dazu gehören 15 farbige Zeichnungen, die den Ablauf schildern. Gewissermaßen die IKEA-Anleitung der Kunst.

Also, worum ging es Franz Erhart Walther mit all dem? Er wollte Kunst weiter denken - über den Tellerrand hinaus. Nicht mehr nur Bilder, Skulpturen, Objekte – auch Handlungen können zur Kunst werden. Und auch Handlungen können in plastischen Werken stecken. So wie bei dem „Mantel-Stahlstück“ aus Karlsruhe. Da liegt das Objekt, aber wir stellen uns direkt vor, was damit passieren könnte. Ich finde, das Ganze ist wie eine von diesen Black Stories. Ein Szenario, bei dem man sich fragt, was da los war. Diese Art Kunst regt unsere Fantasie an. Durch die Anleitung können wir uns die Aktion vorstellen. Das Werk findet auch in unserem Kopf statt.

Franz Erhart Walther arbeitet hier also mit Imagination. Mit nicht greifbaren Ideen, mit Leerstellen, die wir füllen müssen. Er will uns Betrachter*innen mit einbeziehen in seine Kunst – auch gedanklich. Über so eine Art der Kunst regen sich Leute oft auf, dabei werden bei innovativen Start-ups oft einfach nur Ideen verkauft, ohne dass ein fertiges Produkt vorliegen würde. Franz Erhart Walthers Werke entfalten erst durch die Begegnung mit dem Publikum ihre Wirkung. Vor allem bei Werken, die man berühren darf oder die zum Mitmachen anregen. Aber die Teilnahme kann eben auch nur imaginativ sein – wie in der Kunsthalle Karlsruhe.

Ich hoffe, ihr konntet bei all diesen theoretischen Ausführungen gut folgen. Ja, das hier ist ziemlich intellektuelle Kunst, aber sie ist sehr spannend, weil sie so viel weiterdenkt. Franz Erhart Walther macht Werke, die sich nicht jedem Menschen sofort erschließt, aber genau deshalb hat der Künstler ja Handlungsanweisungen und Erläuterungen zu seinen Werken verfasst. So wie in der Kunsthalle Karlsruhe.

Wer hat‘s gemacht? Künstler im Spotlight

So, aber jetzt kommen wir mal konkret zu Franz Erhart Walther. Der hat nämlich eine spannende Karriere hingelegt. 1939 wird er in Fulda geboren. Als Kind wollte er Comiczeichner werden – hat nicht ganz geklappt, wobei Metallstücke im Museum rumzuwerfen auch aus einem komischen Comic stammen könnte. Eigentlich sollte Walther die Bäckerei der Eltern übernehmen. Stattdessen entschied er sich für etwas vermeintlich Brotloses: Kunst. Anfangs verdiente Walther mit seiner Kunst tatsächlich kein Geld, das änderte sich später.

Schon früh als Kind zeigte Franz Ehrhard Walther großes Talent im Zeichnen. Bald interessiert es ihn aber nicht mehr seine Umgebung einfach nur wiederzugeben. Schon mit 16 entwickelte er laut eigener Aussage eine Vorstellung: Das Publikum an der Entstehung eines Bildes beteiligen. Normaler Gedanke für einen 16-Jährigen. Übrigens soll er schon bei seinen Kinder-Comics Figuren und Teile ausgeschnitten haben, die die Betrachtenden sich dann vorstellen sollten. Ein Gedanke, der in seiner späteren Kunst noch sehr wichtig werden sollte.

Franz Ehrhard Walther studiert zunächst in Offenbach an der Kunstschule. Dort hatte er ein Schlüsselerlebnis mit dem Mülleimer. Walther fand im Müll die Überreste einer Kunstklasse. Diese hatten aus Papierbögen Dinge ausgeschnitten – übrig waren nur noch die Papierbögen mit den leeren Stellen. Walter mochte die Idee, dass das Kunstpublikum diese Leerstellen füllen sollte – wie bei seinen Comics.

Walther wechselt nach Frankfurt und danach nach Düsseldorf an die Kunsthochschule. Er beendet sein Studium 1964 und zieht drei Jahre später nach New York. Hier arbeitet er zunächst in einer Bäckerei und verziert Torten. Aber schon kurz danach geht sein Hype los. Im Alter von nur 30 Jahren stellt er seine Kunst im legendären Museum of Modern Art, kurz MoMA, in New York aus. Das ist der absolute Ritterschlag für einen Künstler. Den Raum mit Walthers Kunst darf man nur betreten, wenn man bereit ist mit der Kunst zu interagieren. Das ist wie ein Spielplatz, bei dem man auch spielen muss. Die Zeitung „Die Welt“ schrieb damals zu der Ausstellung im MoMA: „Wo die Kunst heute hingekommen ist, kann man daran zeigen, dass dem deutschen Künstler Franz Erhard Walther in dem berühmten MoMA ein Sackhüpfen erlaubt wird.“ Das war wahrscheinlich eher abfällig gemeint. Aber Sackhüpfen im Museum – das ist doch großartig!

Walther wird ein ziemlicher Shootingstar der Kunstszene. An Auszeichnungen mangelt es definitv später nicht: Bei der zweijährlichen Ausstellung Biennale in Venedig erhält er den Goldenen Löwen als bester Künstler. Und 2021 bekommt Walther das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Heutzutage lebt er wieder in Fulda.

Ich weiß der Satz ist abgedroschen, aber hier stimmt er: Franz Erhart Walther war seiner Zeit voraus. 2017 hatte er ja bei der Biennale in Venedig ausgestellt. Die Besucher*innen hielten seine Werke für zeitgenössische Kunst. Dabei waren die Werke aus den 70er und 80er Jahren – also um die 30/40 Jahre alt. Und trotzdem wirkten die immer noch topaktuell. Obwohl er in der Kunstwelt also ziemlich Welle gemacht hat, ist er nur wenigen Menschen ein Begriff. Das Süddeutsche Magazin hat dazu sehr treffend geschrieben: „Franz Ehrhard Walther ist der wichtigste deutsche Künstler, den fast niemand kennt“.

Ich hoffe, das konnten wir heute ein bisschen ändern. Damit sind wir schon wieder am Ende dieser Kunstsnack-Folge. Die nächste erscheint wie immer in zwei Wochen. Bis dahin, macht's gut, Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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